Active Sourcing: Personaler vor dem Rollenwechsel

Ein in Teilen leergefegter Arbeitsmarkt zwingt Recruiter dazu, in sozialen Netzwerken und Lebenslaufdatenbanken aktiv nach Kandidaten zu fahnden. Unter HR-Fachleuten gewinnt dieser Trend an Akzeptanz.

Von Tatjana Krieger

Was waren das noch für Zeiten: Im Job-Speed-Dating konnten Personaler auf einen Schlag Dutzende von Bewerbern scannen, Kandidaten flogen oft genug auf eigene Kosten kreuz und quer durch die Republik zum Vorstellungsgespräch, der Waschkorb mit sich stapelnden Bewerbungsmappen gehörte in manchen HR-Abteilungen zum festen Accessoire. Vorbei. Seitdem sich die Babyboomer langsam aus dem Arbeitsleben verabschieden und die geburtenschwachen Jahrgänge nachrücken, herrscht Bewerbernotstand.

Fachkräftemangel: Die grosse HR-Herausforderung

Das haben auch die Personaler erkannt und stufen den demografischen Wandel sowie den Fachkräftemangel als die grössten Herausforderungen im Personalwesen ein. Auf Platz drei platzieren sie das Thema, das zugleich einen Ausweg aus dem Dilemma eröffnet: Social Media.

Berufliche Online-Netzwerke wie Xing oder Linkedin zählen gemeinsam mit Lebenslaufdatenbanken in den grossen Jobbörsen zum Werkzeug von Active Sourcing. Sie bieten nicht nur eine Plattform für die Veröffentlichung von Anzeigen. Hier lassen sich auch einzelne Spezialisten und Fachleute finden, informelle Kontakte schliessen und gezielt Job-Angebote unterbreiten.

Was ist Active Sourcing?

Von Active Sourcing spricht man dann, denn die direkte Kontaktaufnahme vom Personaler ausgeht. Die Netzwerkbetreiber selbst unterstützen Recruiter mit kostenpflichtigen Anwendungen. Die Akzeptanz unter den Personalern steigt .

Dehnt man den Begriff Active Sourcing aus auf alle Massnahmen, die eine aktive Vorgehensweise der Personalabteilung bei der Rekrutierung einschliessen, ergibt sich eine Reihe an Möglichkeiten für HR, die heute schon zur Anwendung kommen: der Aufbau von Talent-Pools, Teilnahme an Karriere-Events für Studenten und Absolventen, der Besuch von Personalmessen und Absolventenkongresse.

Active Sourcing in sozialen Netzwerken

„Active Sourcing in sozialen Netzwerken befindet sich noch im Kleinkindstadium“, sagt dazu Wolfgang Brickwedde vom Institute for Competitive Recruiting (ICR) in Heidelberg. „Das Gute sind aber die geringen Eintrittsbarrieren. Man kann sich ausprobieren, auch ohne grosse Konzeption im Vorfeld.“

Gemeinsam ist all diesen Vorgehensweisen: Das Selbstverständnis der Personaler muss sich dramatisch wandeln. „Die alte Methode des Post-and-pray-Recruitings, also ausschreiben und abwarten, generiert in vielen Fällen nicht mehr die notwendige Anzahl an passenden Bewerbern“, so Wolfgang Brickwedde vom ICR. Stattdessen müssen Recruiter künftig die besten Tugenden aus Vertrieb, Marketing und Personalwesen in sich vereinen.

Raus aus dem alten Trott!

Auf dem Lehrplan stehen: Trommeln für die eigene Sache, werben um die Talente, attraktive Angebote schnüren, die Zielgruppe verstehen und mit ihr angemessen in den Dialog treten. In 48,1 Prozent der Top-1000-Firmen in Deutschland gibt es laut „Recruiting Trends 2014“ heute bereits ausgewählte Mitarbeiter, die für die Social-Media-Kanäle zuständig sind, 42,6 Prozent haben zudem einen verbindlichen Social-Media-Kodex formuliert.

Zu den Unternehmen, die den Trend erkannt haben, zählt die zu Bertelsmann gehörende Medienfabrik in Gütersloh. Dort arbeitet Jana Horschel als Sourcing Specialist und ist für die Ansprache möglicher Kandidaten in sozialen Netzwerken zuständig. „Wer als Fachkraft nach einer neuen Stelle sucht, schaut sich vielleicht nicht ausgerechnet in Gütersloh um“, erklärt sie die Notwendigkeit der aktiven Suche nach Mitarbeitern.

Kandidaten individuell ansprechen

Zu ihren Aufgaben gehört es folglich, die Vorzüge des Unternehmens gegenüber dem Standortnachteil hervorzuheben. Sie kennt auch die Fallstricke in der Kommunikation mit den Talenten: „Gerade IT-Spezialisten sind sensibel, was ihre Daten angeht. Oft wollen sie sehr genau wissen, wie man sie gefunden hat.“ Dazu kommt, dass gefragte Berufsgruppen, wie gute IT-Fachleute, Vertriebsexperten oder Ingenieure sehr häufig angeschrieben werden und zunehmend genervt oder gar nicht reagieren. Hier ist neben Fingerspitzengefühl und einer Strategie vor allem gefragt, was Personaler sich selbst immer gewünscht haben: Eine individuelle Ansprache ohne Textbausteine, das die Bedürfnisse des Adressaten in den Mittelpunkt rückt.

„Ein moderner Recruiter muss sich ausserdem mit Arbeitsmarktdaten beschäftigen, sie analysieren, sich mit der Geschäftsführung und den Fachvorgesetzten auseinandersetzen“, sagt Wolfgang Brickwedde. So erst erlange er ein tiefes Verständnis für die Vakanz. „In der Konsequenz führt der Personaler dann vielleicht weniger Interviews – aber mit den richtigen Leuten.“