Variable Vergütung: Nur ein Modetrend?
Die variable Vergütung bleibt umstritten. Während die Baseler Versicherung ihr Ziel- und Bonussystem ausbaut, fährt der Betrieb Leitner Franz, einer der besten Arbeitgeber Österreichs, einen ganz anderen Kurs.
Anfang 2008 wird die Baseler Versicherung am Standort Schweiz (Basel) ihr variables Vergütungssystem auf alle Mitarbeiter ausdehnen. Bisher wurden in dem Unternehmen neben den Vertriebsmitarbeitern nur 550 Führungskräfte des mittleren Managements mittels eines Incentives variabel vergütet. Das Unternehmen folgt nun mit der Ausdehnung der variablen Vergütung einem Trend, der von vielen Beschäftigten gewünscht wird, gleichwohl aber umstritten ist.
Mitarbeiter wollen faire Ziele
Der Verband “Angestellte Schweiz” hat jüngst in einer Umfrage festgestellt, dass fast drei Viertel der Angestellten für einen “Leistungslohn” sind. Allerdings gab auch ein Drittel derjenigen, die für eine variable Vergütung nach Leistung sind, zu bedenken, dass sie sich dabei nicht fair beurteilt fühlen. “Wenn die Ziele, die der variablen Vergütung zu Grunde liegen, zu vage sind, ist ein Mitarbeiter vom Vorgesetzen abhängig”, gibt Urs Klingler, Direktor im Bereich Human Resource Services bei PricewaterhouseCoopers AG (Zürich), zu bedenken.
Die Basler Versicherung wird den Beurteilungsspielraum des direkten Vorgesetzten im Vergleich zur bisherigen Praxis bei den Managern sogar noch erweitern. “Wir sehen die Gefahr, dass sich Mitarbeitende zu starr an die fünf bis sechs vorab individuell vereinbarten Ziele halten”, erklärt Marc Siegrist, Leiter des HR Shared Services und verantwortlich für Vergütung bei der Baseler Versicherung.
Zwar werden in Zukunft nach wie vor individuell vereinbarte und top-down vorgegebene Team- und Abteilungsziele (wie etwa Kostenziele) Grundlage der variablen Vergütung sein. Vorgesetzte sollen aber auch mittels der neuen Leistungs- und Erfolgsprämie ausdrücken können, ob Mitarbeitende neben den definierten Zielen einen Blick für wichtige und möglicherweise ad-hoc entstandene Aufgaben in ihrer Abteilung haben und richtiges Verhalten an den Tag legen.
Ziele komplementär gestalten
Die Modifikation der bisherigen Vergütungspraxis bei der Baseler Versicherung dürfte am Institut für Organisation und Unternehmenstheorien der Universität Zürich auf reges Interesse stossen. Nach Professorin Margit Osterloh und Dr. Katja Rost laden Bonuszahlungen, die an bestimmten Zielen festgemacht werden, geradezu zur Manipulation ein. “Es wird zum Beispiel viel verkauft, aber nicht wirklich profitabel”, sagt Rost. Diesem Verhalten versucht die Basler Versicherung vorzubeugen, indem zum Beispiel das Wachstumsziel eines Mitarbeiters nicht zu Lasten eines Kostenziels gehen darf.
“Die Diskussion, was gute Leistung ist, muss geführt werden”, sagt auch Urs Klingler. Der kritisiert, dass auf der Top-Management-Ebene die individuelle Leistung oft ein zu starkes Gewicht im Verhältnis zu Ertrags-, Kosten-, Wachstums- oder Aktienzielen des Unternehmens hat. Umgekehrt müssten auf den unteren Hierarchieebenen stärker die individuelle Leistung, aber auch Teamziele bewertet werden.
Boni erhöhen nicht den Unternehmenswert
Da auf den unteren Hierarchieebenen ein direkter Zusammenhang zwischen individueller Leistung und Unternehmensergebnis kaum herzustellen ist, hat die Basler Versicherung davon Abstand genommen, Ziele des Unternehmens in die Zielvorgaben des mittleren Managements zu integrieren. Fällt die Performance des Unternehmens gut aus, erhöht sich am Ende eines Jahres gleichwohl dank eines “Unternehmens-Performance-Faktors” die variable Vergütung der Manager. “Eine solche Verknüpfung muss stattfinden”, sagt Siegrist.
Dass zwischen variabler Vergütung (“Pay-for-Performance”) und der Unternehmensperformance ein positiver Zusammenhang besteht, wird am Institut für Organisation und Unternehmenstheorien der Universität Zürich grundsätzlich bezweifelt. In einer Metaanalyse, die verschiedene Untersuchungen in den Bereichen Top-Management und CEO berücksichtigt, kommen Osterloh und Rost zu dem Schluss, dass im Laufe der Zeit Bonuspläne und andere Incentives weder den Unternehmenswert noch andere buchhalterische Grössen wie zum Beispiel das Betriebsergebnis erhöhen.
Variable Vergütung blockiert kollegiales Verhalten
“Die Ergebnisse lassen sich auch auf andere Gruppen von Mitarbeitern übertragen”, sagt Osterloh. Sie bezeichnet das Konzept der variablen Vergütung als reine “Mode”. Es werde sich auf lange Sicht aber nicht behaupten, weil es innovatives Denken und kollegiales Verhalten blockiere. Würden intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die oft besonders leistungsorientiert sind, zu einem bestimmten Verhalten angereizt, reduzierten sie ihre intrinsische Motivation oder suchten sich eine andere Beschäftigung. Daneben fördere Pay-for-Performance strategisches Verhalten und lenke die Aufmerksamkeit primär auf solche Aufgaben, die monetär lukrativ sind, so Osterloh.
Klingler teilt diese Einschätzung nicht, fordert die Unternehmen aber dennoch auf, Bonusvereinbarungen nicht im Nachhinein zu manipulieren. “Wenn die anvisierte Leistung nicht erreicht wird, muss sich das auf die Entlohnung auswirken”, sagt Klingler. “Wenn es ums Geld geht, wird es schwierig”, sagt auch Siegrist. Anders als bei der Potenzialbeurteilung hielten sich die Vorgesetzten mit einer differenzierten und stärker streuenden Einschätzung der Mitarbeitenden zurück, wenn dies Auswirkungen auf das Entgelt hat. Dass die variable Vergütung zu einem besseren Unternehmensergebnis führt, kann nach Siegrist nicht wirklich bewiesen werden. “Die Mitarbeitenden sind aber stärker sensibilisiert für den Zusammenhang zwischen ihrer Leistung und der gesamten Performance”, sagt Siegrist.
Weiterhin Fixlohn für Geringverdienende
Im unteren Entlohnungsbereich, in dem der fixe Anteil einen lebensnotwendigen Mindestlohn darstellt, hält Klingler die variable Vergütung für kaum praktikabel. “Wir empfehlen in diesem Segment, eine Prämie für gute Leistungen zu gewähren”, sagt Klingler. Ein solches Konzept möchte Rost gerne auf das gesamte System der Entlohnung übertragen. “Die Unternehmen sollten markgerechte Fixlöhne zahlen, gute Leistungen im Nachhinein belohnen und Beförderungssysteme etablieren, die gewünschtes Verhalten langfristig berücksichtigen”, erklärt Rost.
Leitner Franz setzt lieber kulturelle Ziele
Dass ein Unternehmen ganz ohne variable Vergütung auskommt und es laut dem GreatPlaceToWork-Institut sogar zu einem der besten Arbeitgeber Österreichs schaffen kann, zeigt der Betrieb Leitner Franz Kfz- und Industriebedarf (Amstetten). “Wir haben früher Provisionen im Aussendienst gezahlt. Dadurch sind die Mitarbeiter aber eher unflexibel geworden”, erklärt Marion Böheim, Personalleiterin bei Leitner. Hätten sich zum Beispiel die Gebietszuständigkeiten eines Aussendienstmitarbeiters geändert, habe es untereinander Gerangel wegen möglicherweise verloren gehender Provisionen gegeben.
Böheim betrachtet das Thema der variablen Vergütung sehr grundsätzlich. “Mit Geld allein kann man keinen Mitarbeiter binden. Diese Erfahrungen machen wir seit 40 Jahren.” Würde variabel nach der Leistung bezahlt und bestimmte Ziele erreicht, dann sinke die Motivation der Mitarbeiter, sich weiter anzustrengen, ist Böheim überzeugt. Zielvereinbarungen gebe es in ihrem Unternehmen gleichwohl. Dass diese erreicht werden, dafür sei letztendlich aber die gelebte Kultur und die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern entscheidend.