Die ausgebrannte Organisation

Von einem Burnout ist meist im Zusammenhang mit Menschen die Rede. Aber auch ganze Organisationen können ausbrennen. Für ein “organizational Burnout” gibt es zwar Symptome, diese sind von normalen Krisenerscheinungen mangels einer trennscharfen Diagnostik aber nur schwer zu unterscheiden.

Merkt ein Unternehmen, dass es Veränderungen dringend braucht, kann es diese aber auch nach mehreren vergeblichen Versuchen nicht umsetzen, dann könnte es sich um eine Organisation handeln, die vom Burnout bedroht oder schon ausgebrannt ist. Die Betonung liegt auf könnte, denn noch fehlt es nach Professor Michael Zirkler, Leiter der Arbeits- und Organisationspsychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, an der nötigen “differentialdiagnostischen Schärfe”, um Unternehmen mit Burnout-Symptomatik eindeutig von solchen zu unterscheiden, die “nur” in einer Krise sind oder die vorübergehend Probleme haben, den Wünschen ihrer Kunden nachzukommen.

Emotionale Erschöpfung

Das Burnout-Syndrom, das einen Zustand starker emotionaler Erschöpfung und reduzierter Leistungsfähigkeit aufgrund beruflicher Belastungen beschreibt, ist lange Zeit auf Personen bezogen worden. Jetzt attestieren Berater wie Michael Zirkler und auch Gustav Greve, der zum Thema aktuell ein Buch veröffentlicht hat, ganzen Organisationen, dass sie ausbrennen oder ausgebrannt sind. Für Gustav Greve, der  Vorsitzender der Geschäftsführung der Prognos AG sowie Vice President International bei Arthur D. Little war, gibt es “verblüffende Ähnlichkeiten” zwischen dem Burnout von Mitarbeitern und dem von Organisation. Die Tatsache, dass einzelne Mitarbeiter an Burnout leiden, bedeute aber nicht automatisch, dass das ganze Unternehmen ausbrenne.

“Das ist der Anfang vom Ende”, sagt Greve zu einer ausgesprochenen “Männlichkeitskultur”, nach der es in einem Unternehmen angeblich keine Probleme gibt, die nicht zu lösen wären. “Das sicherste Zeichen dafür, dass es sich um ein Ausbrennen handelt, ist die Verleugnung der Symptome”, sagt Greve. Das Management wolle nicht wahrhaben, dass es im Betrieb nicht mehr so läuft wie früher. Dabei haben die Mitarbeiter längst gemerkt, dass interne Anforderungen immer mehr Zeit binden, die Ressourcen knapper werden und die üblichen Steuerungsmassnahmen des Managements nicht den gewohnten Erfolg haben. Die Mitarbeiter flüchten sich angesichts des hilflosen Aktionismus ihrer Vorgesetzten in eine zynische Grundstimmung gegenüber der Firma und Kollegen. So schwindet die Energie für neue Ansätze, Innovationen finden nicht mehr statt.

Effizienz ist nicht alles

Für Michael Zirkler laufen insbesondere Unternehmen Gefahr auszubrennen, die ihren Blick allein auf Effektivität und Effizienz ausgerichtet haben. “Solche Unternehmen sind zunächst sehr erfolgreich. Wenn sich aber die Umweltbedingungen ändern, fehlt ihnen die Flexibilität, darauf adäquat zu reagieren”, sagt Zirkler. Das Management erhöhe dann die Drehzahl – sprich: die Leistungsvorgaben – und verändere ständig die Strukturen der Organisation, weil es glaube, so die Dinge wieder in den Griff zu bekommen. Faktisch bessert sich die Lage aber nicht.

“In ausgebrannten Organisationen wird viel geredet, aber wenig entschieden”, schildert Zirkler weitere Symptome. Die Meetings häuften sich, dennoch fehlten den Mitarbeitern entscheidende Informationen zur Lage und zur zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens. Die Mitarbeiter seien “lost”, sagt Zirkler. Und dem Management fehle es an Mut und zuweilen auch an der Kompetenz, mit offensichtlichen Widersprüchen umzugehen und sich und anderen beispielweise einzugestehen, dass bestimmte Ziele für das Unternehmen zwar wichtig sind, möglicherweise aber nicht erreicht werden können.

Rückzug des Managements

Gustav Greve hat beobachtet, dass sich in von einem Burnout bedrohten Unternehmen das Management nach dem Versagen gewohnter Steuerungsmassnahmen zurückzieht. “Die Führungskräfte sind weniger präsent und erreichbar”, sagt Greve. Diese seien gewohnt, klare Ansagen zu machen. Das funktioniere in kritischen Situationen aber nicht mehr. Greve rät den Führungskräften, die Mitarbeiter zu bitten, offen und ehrlich auf die Frage einzugehen, warum es nicht mehr rund läuft im Betrieb und welche Schritte sie als notwendig erachten. Ob die geschilderten Symptome und Verhaltensweisen Ausdruck eines Burnouts oder nur einer normalen Krise sind, ist angesichts der diagnostischen Unschärfe allerdings schwierig zu beantworten.

“Bei einer normalen Krise steht der Sinn und Zweck der Organisation nicht in Frage. Das Unternehmen hat noch die Energie, sich selbst zu helfen”, meint Gustav Greve. Anders in einer ausgebrannten Organisation. Die stiftet keinen Sinn mehr, es herrscht eine depressive Grundstimmung. “Die merkt man”, sagt Zirkler. Komme ein Kunde in ein ausgebranntes Unternehmen, werde er kaum angeschaut und den Mitarbeitern sei mehr oder weniger egal, ob er mit seinem Anliegen vergeblich von A nach B laufe. Zirkler sieht zudem sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem Burnout von Mitarbeitern und dem einer Organisation. “Depressivität und Unschärfe sind für Menschen mit einer bestimmten Persönlichkeit nur schwer auszuhalten”, sagt Zirkler. Insofern sei ein Burnout einzelner Mitarbeiter ein Warnsignal für das Unternehmen insgesamt.