Mitarbeiter zu Mitgestaltern machen

Mittelständler, die das “Top Job”-Gütesiegel der compamedia GmbH erhalten, gelten als attraktive Arbeitgeber, die der Krise mit überdurchschnittlich engagierten Mitarbeitern trotzen. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis? Mit welchen Massnahmen spornen sie ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen an?

“Jeder Mitarbeiter soll sich als Mitunternehmer fühlen.” Dirk Solbach, Geschäftsführer des Unternehmens MDS Raumsysteme in Engen-Welschingen, hat sich ein hohes Ziel gesetzt. Laut Studien zu den Themen Mitarbeiterengagement und -loyalität wie dem Gallup-Engagement-Index von 2008 verspürt nämlich nur etwa jeder zehnte Beschäftigte eine echte Verpflichtung gegenüber seinem Unternehmen und arbeitet hoch engagiert.

Motivation und Engagement fördern

Laut dem Arbeitsklima-Barometer 2008 des IFAK Instituts, Taunusstein, spult die Mehrheit der 2.000 repräsentativ ausgewählten Arbeitnehmer ein Pflichtprogramm am Arbeitsplatz ab. Der Untersuchung zufolge gehen nur zwölf Prozent mit Motivation und Engagement ihrem Job nach.

Doch den Ergebnissen zum Trotz: Solbach scheint seinem Ziel gar nicht so fern. 60 Prozent seiner mehr als 50 Mitarbeiter, so meint der Geschäftsführer, tun ihren Job bei dem Unternehmen nahe des Bodensees mit Leidenschaft und bringen entsprechende Leistung. Für ihn gilt es nun, die restlichen 40 Prozent ins Boot zu holen.

Anreize schaffen

Und hierfür schafft er Anreize. So hat er zum Beispiel einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess im Unternehmen eingeführt, bei dem der Verbesserungsvorschlag der Woche auf besondere Weise belohnt wird: Der entsprechende Mitarbeiter gewinnt für eine Woche das Team-Smart-Cabrio inklusive Tankfüllung. Für jeden weiteren angenommenen Vorschlag gibt es einen Tankgutschein über 40 Euro.

Neben solchen Anreizen zur Steigerung des Mitarbeiterengagements ist Geschäftsführer Solbach darauf bedacht, das Wir-Gefühl unter den Mitarbeitern zu stärken. Damit ist er im Einklang mit den meisten anderen Unternehmen, die wie MDS Raumsysteme mit dem Gütesiegel für Arbeitgeber im Mittelstand “Tob Job” 2010 ausgezeichnet wurden. Um das Siegel der compamedia GmbH zu erhalten, müssen sich die Unternehmen einem Benchmark unterziehen, bei dem ihre Personalpolitik durch die wissenschaftliche Leitung von Top Job unter der Federführung von Prof. Dr. Heike Bruch, Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen, unter die Lupe genommen wird. Unter anderem wird eine Online-Mitarbeiterbefragung durchgeführt,und die Personalarbeitsinstrumente und -methoden werden abgefragt.

Unterschiedliche Schwerpunkte bei der Personalarbeit

Wie das Benchmark zeigt, setzen die mit dem “Top Job”-Siegel ausgezeichneten Mittelständler zwar jeweils unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Personalarbeit.Grundlegende Ansätze, um das Engagement und die Motivation sowie das Commitment ihrer Mitarbeiter zu steigern, sind ihnen aber gemein.

In Kooperation mit…

manage_HR Praxiswissen für die Personalarbeit
Als erste deutsche Personalzeitschrift erscheint
manage_HR als ePaper. Lesen Sie die aktuelle
Ausgabe direkt an Ihrem Bildschirm.

>>> zum ePaper

Die Förderung des Teamgedankens gehört dazu. Um das Wir-Gefühl der Mitarbeiter zu stärken, spielen gemeinsame Unternehmungen und Erlebnisse eine grosse Rolle. Die jährliche Weihnachtsfeier, ein Sommerfest und Betriebsausflüge sind in den meisten der “Top Job”-Unternehmen Usus. Zudem werden gemeinsame sportliche Aktivitäten gefördert.

Sport stärkt den Gemeinschaftssinn

Bei MDS Raumsysteme wurde zuletzt angeregt,eine Badminton-Gruppe zu gründen. Jeden Montagabend finden sich 15 bis 20 Mitarbeiter auf drei angemieteten Courts ein, um gemeinsam zu spielen.Doch der Montag ist nicht der einzige Tag, an dem sich Mitarbeiter von MDS Raumsysteme nach Feierabend treffen. In der so genannten Spiel-Oase, die Geschäftsführer Solbach in der Produktionshalle eingerichtet hat, finden sich regelmässig Mitarbeiter zum Kickern,Dart- oder Tischtennisspielen ein.

Mit der Spiel-Oase, die auch in den Frühstücks- und Mittagspausen frequentiert wird, will Solbach die gute Stimmung unter den Mitarbeitern fördern. Insbesondere ist ihm daran gelegen, Produktionsmitarbeiter und Beschäftigte aus der Verwaltung zusammenzuführen. “Häufig gibt es Vorbehalte zwischen den gewerblichen Mitarbeitern und denen aus der Verwaltung. Das stört den Betriebsfrieden”,erläutert Solbach, warum ihm der Kontakt der beiden Mitarbeitergruppen wichtig ist.

Das Betriebsklima als Bestandteil des KVP

Während Solbach die Rahmenbedingungen schafft, um das Betriebsklima zu verbessern, lässt Dieter Klages von der Klages & Partner GmbH, Wallenhorst,diese von den Mitarbeitern selbst gestalten.Bei dem Dienstleister, der auf Softwarelösungen für das Gesundheitswesen spezialisiert ist, werden die das Betriebsklima prägenden Werte als Bestandteile eines gemeinsamen kontinuierlichen Verbesserungsprozesses im Unternehmen betrachtet: Mehrfach im Jahr findet ein “Kulturabend” statt, bei dem die Mitarbeiter diskutieren, wie weit die Gemeinschaft im Betrieb gediehen ist und was noch getan werden kann.

“Alle Mitarbeiter im Unternehmen sollen sich wohlfühlen. Um dies zu erreichen,müssen sie das Leben im Betrieb aktiv mitgestalten”, lautet die Einstellung von Geschäftsführer Klages. Wie es gelingen kann, dass die Mitarbeiter in eine Gestalterrolle hineinwachsen, wird u.a.mit externen Beratern diskutiert.

Mitarbeiterbefragungen durchführen

Laut Klages werden hierzu die Ergebnisse der mehrmals pro Jahr durchgeführten Mitarbeiterbefragungen herangezogen und gemeinsam mit der Belegschaft erörtert.Das Nachdenken über das eigene Denken und Handeln nimmt bei Klages & Partner einen aussergewöhnlich hohen Stellenwert ein.

Auch andere Mittelständler, die sich am Arbeitgeber-Wettbewerb Top Job beteiligt haben, setzen auf spezielle Events, die sowohl auf Selbsterfahrung der Mitarbeiter als auch auf Teamwork ausgerichtet sind. Die Diakonie Ruhr-Hellweg e.V. organisiert z.B. ein Mal jährlich einen so genannten Auszeittag. Bei dem jüngsten Event wurden die Mitarbeiter zu einer “spirituellen Wanderung” eingeladen: Auf dem Weg waren Stationen eingebaut,die mit Bezug auf biblische Stellen sowie zum Leitbild und der täglichen Arbeit der Diakonie zum Innehalten und Nachdenken anregen sollten. Anschliessend lösten die Mitarbeiter Teamaufgaben in einem Niedrigseilgarten.

Die Arithnea GmbH mit Hauptsitz in Taufkirchen lädt ihre 50-köpfige Belegschaft ein Mal im Jahr gleich zu einem mehrtägigen Gruppenevent ein. Dabei wird in den ersten beiden Tagen ein
Persönlichkeits- oder ein Personalentwicklungs-Seminar organisiert, an den übrigen Tagen finden teamfördernde Aktivitäten statt, wie etwa eine Sport- Olympiade.

Die ausgewählten Locations für die Firmenevents liegen nicht gerade um die Ecke. Im vergangenen Jahr ist das Arithnea-Team in eine Clubanlage nach Österreich gefahren, davor ging es nach Mallorca und Fuerteventura. Dennoch beträgt die Teilnehmer-Quote jeweils 93 bis 95 Prozent, wie Danielle Rietsch, Marketingmanagerin bei Arithnea, mitteilt. “Das Firmenevent ist zum Ritual geworden. Es findet traditionell in der letzten Woche der Sommerferien statt.Dadurch können Familienangehörige mitfahren”, erklärt sie die hohe Teilnahme-Bereitschaft.

Mittelständler mit eigenen Weiterbildungsakademien

Neben Aktionen zur Steigerung des Teamgedankens bieten die zum Top-Job-Arbeitgeber ernannten KMU ihren Mitarbeitern Möglichkeiten zur zielgerichteten Weiterbildung. Manche der Mittelständler warten sogar mit einer eigenen Weiterbildungsakademie auf. So finden bei der Wulf Gaertner Autoparts AG, Hamburg, Massnahmen zur Personalentwicklung
im eigenen Schulungshaus auf Sylt oder durch Inhouse-Seminare statt. Die pro-art werbeagentur,Emsdetten, bündelt unter ihrer “wissensbilder akademie” alle Fortbildungsmassnahmen der Agentur.

Und die defacto call center GmbH hat seit rund acht Jahren ein hauseigenes Weiterbildungsinstitut: Die ca. 700 Mitarbeiter des Erlanger Call Centers können aus rund 100 Kursen der defacto.akademie wählen. Laut Firmeninhaber Gerald Schreiber sind ca.ein Drittel Fachseminare. Die restlichen Kurse sind nicht direkt auf den Job bezogen, tragen Titel wie “Fit for work” oder “Wie werde ich Unternehmer?”, finden ausserhalb der Arbeitszeit statt, können aber wie die Fachseminare von den defacto-Mitarbeitern kostenlos gebucht werden.

Mitarbeiter qualifizieren

“Unser Ziel ist es, die Mitarbeiter überzuqualifizieren und ihre Employability für unser Unternehmen, aber auch für andere Firmen zu verbessern”, sagt Schreiber. Was zunächst Fragen aufwirft, klingt nach Erklärung des Geschäftsführers einleuchtend: Der Call-Center-Inhaber ist sich bewusst, dass Mitarbeiter in seiner Branche nicht lange zu halten sind. Die Bezahlung ist nicht attraktiv, der Stress zu gross. “Da die Mitarbeiter ohnehin nach einer gewissen Zeit in besser bezahlte Jobs bzw. in Branchen mit Aussicht auf eine grössere berufliche Weiterentwicklung wechseln – warum soll man sie dann nicht bei ihrer Karriere unterstützen?”, lautet die Idee von Schreiber.

Er sieht das als Inszenierung eines “positiven Fluktuationsprogramms”. “Wenn ich mich als Arbeitgeber um die Zukunft meiner Mitarbeiter bemühe, heisst das zwar nicht, dass ich sie länger halten kann. Für die Zeit, in der sie im Unternehmen sind, entsteht aber eine grössere Motivation und somit auch eine stärkere Leistungsbereitschaft”, ist der Geschäftsmann überzeugt.

Freiraum für die Mitarbeiter

Als Call-Center-Unternehmer hat Schreiber damit schon viel erreicht. Was der itemis AG indes gelingt, davon kann der Geschäftsmann nur träumen: Bei dem 140-köpfigen IT-Beratungsunternehmen aus Lünen geht die Fluktuationsrate gegen Null. Jens Trompeter, Vorstand und Bereichsleiter Organisationsentwicklung bei itemis, führt dies u.a. auf das firmeneigene Arbeitszeitmodell zurück. Diesem zufolge wird jedem Mitarbeiter pro Arbeitswoche ein Tag für seine persönliche Weiterbildung vertraglich zugesichert, “4+1-Modell” genannt. Was unter Weiterentwicklung zu verstehen ist, wird dabei nicht genau definiert. “Die Mitarbeiter bestimmen, was Weiterbildung ist und was nicht”, sagt Trompeter. Das Unternehmen behält sich allerdings ein Vetorecht vor.

Laut dem Vorstand begeistert das “4+1-Modell” die Mitarbeiter und bringt gute Ergebnisse in Sachen Wissensmanagement. Der Personalbereich greift Themen der Mitarbeiter auf und organisiert zu diesen Einarbeitungs- und Schulungsprogramme,die von den Mitarbeitern selbst für ihre Kollegen durchgeführt werden. Die Mitarbeiter organisieren sich jedoch auch selbst, entwickeln z.B. Open-Source-Projekte und tauschen sich in “Study-Groups” zu bestimmten Themen aus.

Mitarbeiter Freiraum verschaffen

Wie Trompeter berichtet, trägt der Freiraum, den die itemis AG ihren Mitarbeitern für ihre eigene Entwicklung gewährt,zum Erfolg ihres Unternehmens bei. “Wird die Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeiter gefördert, ergeben sich daraus viele positive Effekte für das Unternehmen”,schliesst sich Marita Schwartze, Mitglied der Geschäftsleitung und Personalleiterin bei der Wulf Gaertner Autoparts AG, der Erfahrung an: Der Hersteller für Autoersatzteile hat bei der Einführung eines neuen ERP-Systems Mitarbeiter aus einzelnen Abteilungen beauftragt, sich mit der Anpassung des Systems an die hauseigenen Prozesse auseinanderzusetzen sowie ihre Kollegen für die Bedienung des Systems fit zu machen.

Ihr Alltagsgeschäft wurde dabei von Teamkollegen übernommen. “Das Projekt hat zu einem abteilungsübergreifenden Austausch sowie zu mehr Verständnis der Mitarbeiter für jeweils andere Abteilungen und deren Prozesse geführt”, berichtet Schwartze. Der grössere Durchblick der Mitarbeiter in Sachen Unternehmensabläufe ziehe wiederum einen weiteren entscheidenden Effekt nach sich: Leistungslust der Mitarbeiter.

Die Grenzen der Selbstorganisation

So bestätigt sich einmal mehr, dass sich Mitarbeiter im Unternehmen verstärkt einbringen, wenn ihre Firma ihnen mehr Eigenverantwortung gibt. Trotzdem fällt das Übertragen von Verantwortung vielen Unternehmen nicht leicht, wie Dieter Klages von Klages & Partner bemerkt: “Viele Führungskräfte müssen erst noch lernen, loszulassen”, sagt er. Seiner Meinung nach ist es ein Irrglaube, alles unter Kontrolle haben zu können. Klages nennt das Beispiel regelmässig einberufener Meetings: “Anlass solcher Sitzungen ist in der Regel die Sitzung selbst, und die Mitarbeiter nehmen entsprechend passiv teil”, schildert er seine Beobachtung.

Viel mehr bringen würden teamübergreifende Besprechungen, die von den Mitarbeitern selbst einberufen werden, wenn sie einen Anlass dafür sehen.Dass die Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeiter aber auch ihre Grenzen hat, darauf macht Bernd Oestereich aufmerksam. Der Geschäftsführer der oose Innovative Informatik GmbH, Hamburg, ist prinzipiell ein grosser Freund davon, von klassischen Führungsprinzipien und Rollenverteilungen abzuweichen und den Mitarbeitern viel Freiraum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu geben.

Er hat aber auch die Erkenntnis gewonnen, dass Mitarbeiter für ihren eigenen Schutz gewisser Strukturen und Regeln im Unternehmen bedürfen. “Der Eigenanspruch der Mitarbeiter ist meist sehr hoch, sodass sie sich zu viel aufbürden. darauf muss geachtet werden”, sagt der Geschäftsführer.

Unternehmensdaten transparent machen

Eine weitere Erkenntnis von Oestereich: Der Ansatz, Entscheidungen gemeinsam zu erarbeiten, wird von den Mitarbeitern nicht unbedingt nur positiv gesehen: “In Mitarbeiterbefragungen haben unsere Mitarbeiter bemängelt, dass zu viel diskutiert wird”, sagt er. Für oose hiess das allerdings nicht, die Mitarbeiter von ihren drei Mal jährlich durchgeführten Strategie-Workshops künftig auszuschliessen. Vielmehr wurde der Kritik Rechnung getragen und ein neues Format gewählt.

Das Unternehmensetzt nun auf Open Space, sodass die Mitarbeiter sich auf bestimmte Themen fokussieren können – etwa auf die Prozessoptimierung im Unternehmen, auf neue Vermarktungsstrategien oder auf die Einführung neuer Produkte.

Strategie-Workshops

Bei seinen Strategie-Workshops legt oose im Übrigen alle Unternehmenszahlen offen – vom Umsatz bis hin zum Gewinn der einzelnen Produkte. “Damit Mitarbeiter sich dem Unternehmen verpflichtet fühlen und zu Mitunternehmern werden, muss Transparenz gewährleistet sein”, sagt Oestereich.Auf einen weiteren wichtigen Punkt macht Dieter Leitzgen, Leiter Personal beim Kölner IT-Beratungshaus blueCarat, aufmerksam: “Die Möglichkeit zur Mitgestaltung der Mitarbeiter darf nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben.”Die Geschäftsführung, die Führungskräfte und die Personaler müssten ein offenes Ohr für die Vorschläge der Mitarbeiter haben und gute Ideen auch aufgreifen.

Letztlich steht hinter all den Ansätzen und Massnahmen zur Mitarbeiterbindung eines: die Wertschätzung der Mitarbeiter. Es geht um eine Grundhaltung der Unternehmen, die sich im täglichen Umgang mit ihren Mitarbeitern zeigt. Marita Schwartze von Wulf Gaertner Autoparts: “Ich gehe mindestens einmal am Tag durch das gesamte Unternehmen, um den persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern zu halten.”

(Petra Walther, manage_HR, 2010 / Bild: Konstantin Yuganov, Fotolia.com)

manage_HR hat sich auf die HR-Arbeit in klein- und mittelständischen Unternehmen spezialisiert, denn mit einem Arbeitnehmeranteil von über 70 Prozent  findet HR-Arbeit hauptsächlich in KMU statt. Das Magazin bietet direkt umsetzbares Praxiswissen für die Personalarbeit. manage_HR erscheint seit 2008 bei der managerSeminare Verlags GmbH, Bonn.