Die Entwicklung von Demographie und Arbeitsmarkt

Der Arbeitsmarkt im Spiegel der demographischen Entwicklung

Müssen die Schweizer bald länger arbeiten?
Die demographische Entwicklung der Schweiz und Europas geht in Richtung Überalterung. Ganz grundlegend werden längere Lebensarbeitszeiten als Rezept gehandelt, wobei die Ausgestaltung dann je nach Interessengruppe unterschiedlich ausfällt. Allerdings lässt sich auch firmenintern einiges tun, um nicht bald richtig "alt" auszusehen.

 

 

Das Problem mit der Demographie besteht seit 1970

In den kommenden Jahren wird ein bislang eher wenig beachteter Effekt massgeblichen Einfluss auf den Arbeitsmarkt nehmen: Die demographische Entwicklung.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich nämlich der Altersaufbau der Schweizer Bevölkerung massiv verändert. Laut Angaben des Bundesamtes für Statistik ging der Anteil der Jugendlichen unter 20 Jahren seit 1900 von rund 41 auf nur noch 21 Prozent in 2009 zurück. Im Hintergrund steht eine Geburtenrate, die seit 1970 nicht mehr für den Bestandserhalt der Bevölkerung ausreicht.

Dafür müsste eine Frau im Durchschnitt 2,1 Kinder haben, in der Realität sind es jedoch schon lange wesentlich weniger. 2009 lag diese Durchschnittszahl bei rund 1,5. Auf der anderen Seite der Alterspyramide stieg der Anteil der Personen über 64 Jahren von 5,8 auf 16,8 Prozent an. Für den Arbeitskräftemarkt zeichnet sich vor diesem Hintergrund ein Rückgang der verfügbaren Arbeitskräfte ab, während die Schweizer Volkswirtschaft dagegen stetig weiter wächst.

 

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Einwanderung löst das Problem nicht, sie entschärft es nur

Der Schweizer Arbeitgeberverband sieht in der demographischen Entwicklung eine Tatsache, die sich weder durch verstärkte Zuwanderung noch durch mehr Geburten nachhaltig bremsen liesse und konstatiert einen "unumkehrbaren Megatrend".

Im Fokus des Verbands steht die Finanzierung der AHV, die man gar im "Würgegriff der Demographie" sieht: 2030 werden die Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen und das Verhältnis von Werktätigen zu Rentnern auf einen Tiefpunkt bringen. Die somit "vorprogrammierten" wachsenden Defizite bei der AHV sollen laut Arbeitgeberverband aber nicht durch höhere Beiträge oder öffentliche Zuschüsse finanziert werden. Vielmehr plädiert man für eine möglichst rasche Anhebung des Rentenalters und eine längere Erwerbstätigkeit.

Allerdings konnte Bundesrat Didier Burkhalter am Schweizerischen Städtetag 2011 noch die positiven Effekte der Personenfreizügigkeit für die AHV herausstreichen. Dank dieser stehe die AHV zumindest ein wenig besser da als bislang angenommen, berichtete das Vorsorgemagazin "spn Schweizer Pensions- und Investmentnachrichten".

Die Schweiz benötigt internationale Fachkräfte

Laut Burkhalter sei die AHV-Rechnung vor allem dank der Immigration im Rahmen der Personenfreizügigkeit und der höheren Beiträge ausländischer Fachkräfte mit gutem Einkommen noch im Lot. Andernfalls wäre sie schon seit zwanzig Jahren verlustgeprägt.

Der kommende Arbeitskräftemangel beschäftigt auch die Dachgewerkschaft Travail Suisse. Gestützt auf die Studie eines Fachbüros spricht man dort nicht weniger dramatisch von einen kommenden "Arbeitskräftenotstand".

Pflegepersonal, Polizisten und Lehrer werden fehlen

Bis 2030 sollen der Schweiz mehr als 400'000 Arbeitskräfte fehlen. "Diese grosse Zahl zeigt, dass der Arbeitskräftenotstand Bereiche erfassen wird, die für die Lebensqualität der ganzen Bevölkerung entscheidend sind: Pflegenotstand in Spitälern und Heimen, massiv grössere Klassen an der Volksschule wegen Mangel an Lehrkräften, Einschränkungen im Sicherheitsdienst wegen Polizistenmangel, ausfallende Züge aufgrund fehlender Lokführer etc.", heisst es bei Travail Suisse.

Umgestaltung des Arbeitsmarktes erforderlich

Als Gegenmassnahme verlangt der Verband eine tief greifende Umgestaltung des Arbeitsmarktes, um das in der Schweiz bereits vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser zu erschliessen und eine massive Erhöhung der Einwanderung zu vermeiden.

Besonders bei älteren Arbeitnehmenden und teilzeitbeschäftigten Frauen gebe es ein Potenzial von "mindestens 200.000 Arbeitskräften". Um dieses nutzbar zu machen, brauche es Investitionen in Gesundheit und Bildung.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf schafft Fachkräfte

Ausserdem müssten Berufstätigkeit und Familie besser vereinbar werden. Travail Suisse fordert deshalb ganz generell mehr Ferien und einen Vaterschaftsurlaub in Ergänzung zum Mutterschaftsurlaub. Ausserdem soll es mehr Teilzeitstellen geben und ein flächendeckendes Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen.

Ist eine höhere Lebensarbeitszeit die Lösung?

Mit Strategien und Massnahmen, die Firmen für den demographischen Wandel fit machen sollen, befasst sich François Höpflinger, Professor am Soziologischen Institut der Uni Zürich.

In der Schrift "Demographische Alterung – Trends und Perspektiven" nennt er unter Bezug auf diverse Forschungsergebnisse gleich mehrere Handlungsfelder. So müssten die Übergänge in die Pensionierung neu und flexibler geregelt werden. Kompetente Berufsleute sollten auch nach dem 65ten Lebensjahr arbeiten können. Die späteren Karrierephasen seien durch "Modelle von Bogenkarrieren, eines Wechsels von Linien- zu Stabsfunktionen, aber auch verbesserte Möglichkeiten einer späten Jobmobilität oder einem Wechsel zu entlastenden Arbeitsplätzen" zu gestalten. Ferner hält auch Höpflinger den Ausbau der betrieblichen Gesundheitsförderung und die Anpassung der Arbeitsplätze bei älteren Mitarbeitenden für wichtig. Mit Blick auf die Kunden einer Firma müsse man auch Generationendifferenzen zwischen Belegschaft und Kundschaft thematisieren.

( Alexander Saheb, Januar 2012 / Bild: Herbert (Herby) Me / Grafik: Bundesamt für Statistik (BFS), Website Statistik Schweiz)


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