Den Top-Bewerber gewinnen

Viele Unternehmen vernachlässigen die Aufgabe, ihr Profil als attraktiver Arbeitgeber zu schärfen. Zudem schlägt Kandidaten in Bewerbungsgesprächen oft Desinteresse entgegen. Daher ist es kein Wunder, wenn sich Top-Kandidaten lieber für das Job-Angebot der Konkurrenz entscheiden.
Carla Müller muss sich Luft verschaffen. Erneut präsentierte die Wiener Headhunterin einen Kandidaten wie aus dem Bilderbuch, doch nach dem Vorstellungsgespräch bei einer grossen Bank in Zürich ist sein Interesse verflogen. Ein Finanzinstitut, das sich gegenüber dem gut ausgebildeten, mehrsprachigen Investmentbanker in spe “so herablassend und desinteressiert zeigt”, ärgert sich die Vermittlerin über ein misslungenes Geschäft, “hat ihn auch nicht verdient.”
Die Arroganz vieler Unternehmen
Diese Arroganz, von Beratern schon lange beobachtet, wird inzwischen zu einem Personalpolitikum ersten Ranges. Entweder spult man Vorstellungsgespräche im Eilverfahren ab, mit den immer gleichen von Checklisten abgelesenen Fragen, oder Bewerber werden behandelt, als wollten sie sich einen Job erschleichen. “Viele Firmen stellen sich nur oberflächlich vor oder verhalten sich gegenüber Kandidaten wie in der Inquisition”, wundert sich Markus Frosch, Vorstand der auf Talentmanagement spezialisierten Promerit AG in Frankfurt.
Freilich funktioniert das Rekrutierungsverfahren nach Gutsherrenart nicht mehr, zumindest nicht dort, wo Fach- und Führungskräfte ausgewählter Professionen “händeringend” gesucht werden und sich ihrerseits die besten Jobs auswählen können. Mit dieser selbstgefälligen Pose erweisen sich Unternehmen einen Bärendienst.
Vodafone positioniert sich am Arbeitgebermarkt
So weit wollen es die Verantwortlichen von Vodafone in Düsseldorf erst gar nicht kommen lassen. Den Umgang mit Bewerbern für Schlüsselpositionen nehmen sie ernst. Aus gutem Grund: Denn die Ausgangsposition im “Kampf um Talente” könnte besser sein. “In Arbeitgeber-Rankings liegen wir nicht ganz vorn”, räumt die Leiterin des Personalmarketings, Nicole Klawikowski, ein. “Unsere Branche ist nicht so begehrt wie die Automobilindustrie oder das Consulting.”
Gekämpft wird deshalb an mehreren Fronten. Vodafone bringt sich neuerdings nicht allein als Anbieter von Lifestyle-Produkten ins Gespräch, sondern auch als attraktiver Arbeitgeber. Bei diesem können Frauen die Karriereleiter schnell hinaufklettern, und die Nachwuchsförderung ist kein Fremdwort. Als Arbeitgeber erlebbar sein, lautet das Ziel. Klawikowski sagt: “Wir wollen jeden Kontakt zu Kandidaten so positiv gestalten, dass wir uns damit klar differenzieren.” Personalmarketing und Recruiting arbeiten enger zusammen und ziehen bei Anwerbung, Beschaffung und Auswahl von Kandidaten an einem Strang.
Den Bewerber freundlich und emotional ansprechen
Unternehmen wie Vodafone sind Beobachtern zufolge auf einem guten Weg. Werden Kandidaten besonders zuvorkommend betreut, hinterlässt das unstrittig einen guten Eindruck. Eine freundliche Ansprache, die hohe Wertschätzung signalisiert, sei das A und O, sagt Elisabeth Heinemann. Die Informatikprofessorin an der Fachhochschule Worms unterrichtet Studenten in Soft Skills und coacht Unternehmen. “Bewerber wollen wissen, welche Entwicklungschancen sich ihnen bieten. Und dass man ihnen klar sagt: Das kannst Du bei uns machen.”
Vodafone will sich nicht mit dem Hinweis begnügen, ein erfolgreiches Unternehmen zu sein und als Arbeitgeber spannende Aufgaben und relativ sichere Jobs zu bieten. Hinzu tritt die emotionale Komponente der “Candidate Experience”. In der firmeneigenen Akademie “Hirschburg” in Königswinter können sich Bewerber einen Tag lang mit Führungskräften austauschen, um schliesslich selbst zu beurteilen, ob sie ein Angebot annehmen oder ausschlagen sollten.
Arbeitgeber-Webseiten professionalisieren
Freilich bleiben Betriebe, die sich um ihren Ruf als Arbeitgeber bemühen, eine Ausnahme. Das dokumentiert eine Studie der Fachhochschule Furtwangen. Sie untersucht, wie sich Unternehmen auf ihren Internetseiten als Arbeitgeber präsentieren. Die niederschmetternde Bilanz: Nur fünf von über 300 Unternehmen tun dies professionell. Einige belassen es bei halbherzigen Ansätzen, beim grossen Rest ist überhaupt kein Bemühen erkennbar. Diese Einschätzung teilt Personalexperte Frosch von Promerit: “Allenthalben findet man nur vergleichbare Bilder und chemisch gereinigte Standard-Kommunikation.”
Beurteilte man den deutschen Arbeitsmarkt allein an der inhaltlichen Qualität der Karrierewebseiten, so entstünde laut Studienautor Armin Trost der Eindruck, dass “sich deutsche Unternehmen nicht sonderlich bemühen müssen, qualifiziertes und talentiertes Personal zu gewinnen”. Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt – qualifiziertes Personal ist Mangelware. “So wie um Informatiker und Ingenieure gerangelt wird”, sagt Stefan Wolf, Geschäftsführer der TMP Communication & Services GmbH in Wiesbaden, “sucht man auch Controller oder Experten für den technischen Vertrieb.”
Dem Bewerber eine Geschichte erzählen
Im Vorteil seien Firmen, die eine Geschichte erzählen könnten. “Wunschkandidaten schauen darauf, was das Aussergewöhnliche einer Arbeitgebers ausmacht”, erläutert Wolf. Das kann eine Produktinnovation sein, wie sie etwa die Firma Mindjet aus Alzenau mit ihrer Planungs- und Brainstorming-Software “Mindmanager” ausgetüftelt hat. Das Spannende daran: Eigentlich wollte der an Leukämie erkrankte Firmengründer Mike Jetter mit seiner Entwicklung nur ein “Vermächtnis” hinterlassen. Inzwischen ist sein Programm ein Welterfolg. Zwischen Hoffen und Bangen schrieb er sechs Stunden pro Tag an seinem “Cancer Code”, bis er schliesslich seinen Krebs besiegte.
Mittelstand: Die Stärken hervorheben
Solche Geschichten sprechen sich herum und finden gerade in den heiss umkämpften Zielgruppen Gehör. Doch auch Firmen ohne aussergewöhnliche Wurzeln können sich gut positionieren. Selbst sogenannte “Hidden Champions”, meist mittelständische Betriebe mit Weltmarktführerschaft, können laut Branding-Experte Wolf eine nachhaltige Arbeitgeber-Marke entwickeln. Ihre Wunschkandidaten zögen ein stabiles Umfeld einer internationalen Karriere vor und wollten schneller Aufgaben und Verantwortung übernehmen als es in Konzernen überhaupt möglich sei. “Der Mittelstand setzt auf Werte wie Glaubwürdigkeit, Partnerschaft und Zuverlässigkeit, die für bestimmte Mitarbeiter wichtiger sind als die Aura grosser Marken.”
Doch viele Unternehmen stehen sich selbst im Weg. Nach aussen versäumen sie, ihre Vorteile als Arbeitgeber herauszustellen. Und intern überlassen sie die Personalentwicklung dem Zufall statt “ihre Rohdiamanten zu schleifen”, wie Heinemann eindringlich appelliert. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) schlägt schon Alarm: Die Weiterbildung in Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern sei kaum am tatsächlichen Bedarf orientiert. “Ingenieure sind sehr treue Seelen”, sagt VDI-Geschäftsführer Timo Taubitz verklausuliert. “Werden sie gefördert und gefordert, verlassen sie die Unternehmen sehr selten.”