Talent Relationship Management
Talent Relationship Management zielt (TRM) darauf ab, Kontakte zu Berufserfahrenen zu knüpfen und zu pflegen. Das passende Jobangebot kommt später.
Rainer Spies
Zu der Entwicklung, bei der Beschaffung von Personal immer mehr aktives Sourcing durch die Recruiter zu betreiben, gesellt sich die hinzu, nicht mehr nur für eine vakante Position zu suchen, sondern im Rahmen von Talent Relationship Management (TRM) Pools mit potenziellen Kandidaten aufzubauen.
Von Headhuntern lernen
Die Kandidaten werden dabei nicht ad hoc zur Besetzung einer aktuell offenen Stelle gesucht, sondern sie sollen mittelfristig für das Unternehmen gewonnen worden. „Wir übertragen damit die Vorgehensweise von Headhuntern, nämlich geeignete Kandidaten über einen längeren Zeitraum zu begleiten, auf das Recruiting innerhalb des Unternehmens“, sagt Christoph Fellinger, Talent Relationship Manager bei der Beiersdorf AG (Hamburg).
Ein Headhunter versuche, eine vakante Stelle zu besetzen. Beim Talent Relationship Management, wie es Audi betreibe, gehe es jedoch darum, Kontakte zu knüpfen, konkretisiert Tobias Becker, Talent Relationship Manager bei der AUDI AG (Ingolstadt). „Allein bei der Erstansprache bestehen Ähnlichkeiten“, sagt Tobias Becker. Der Kerngedanke des Ansatzes von Audi sei, in Netzwerke hineinzukommen, die mit herkömmlichen Mitteln im Recruiting nicht erreicht würden. Ein Resultat könne dabei auch die Empfehlung eines weiteren Kontakts und nicht etwa nur allein die Einstellung des zuerst kontaktierten Talents sein.
Suche nach Fachkräften
Insbesondere bei berufserfahrenen und auf Motorelektronik sowie Hybridtechnik spezialisierten Ingenieuren gestaltet sich die Suche seit ein paar Jahren zunehmend schwieriger. „Deswegen haben wir unsere Instrumente in Engpassbereichen um das Talent Relationship Management erweitert“, erklärt Tobias Becker. Ein effektives Mittel der Kontaktanbahnung sind beispielsweise Fachveranstaltungen, Veröffentlichungen, Recherchen im Netz und persönliche Empfehlungen – etwa der Mitarbeiter aus ihrem privaten Netzwerk.
Während Audi seit 2008 systematisch Kontakte zu den in der Branche heissbegehrten Professionals knüpft, geht die Beiersdorf AG den Weg des Talent Relationship Managements noch nicht so lange. Im Fokus steht anders als bei dem Automobilbauer nicht eine kleine, unternehmensstrategisch extrem wichtige Gruppe von Schlüsselkräften, sondern ein erweiterter Kreis an berufserfahrenen Experten. „Wir haben in den Bereichen Finance und Supply Chain Positionen identifiziert, bei der sich die Besetzung als relativ schwierig erweist“, erklärt Christoph Fellinger.
Kennzahlen und Messgrössen
Die eigentliche Herausforderung im Talent Relationship Management sei, mit einmal kontaktierten Kandidaten in Verbindung zu bleiben, ohne ihnen eine Stelle anbieten zu können. Es gehe um den „mittelfristigen“ Erfolg, sagt Christoph Fellinger. Im Recruiting ansonsten übliche Kennzahlen zur Erfolgsmessung würden daher im Talent Relationship Management nicht ohne weiteres greifen. Über die Frage, welche Kennzahlen denn stattdessen heranzuziehen sind, wird bei Beiersdorf ebenso noch diskutiert, wie über geeignete Massnahmen, um die Kandidaten erfolgreich zu binden. Erfahrungen im Hochschulmarketing zeigten, dass der persönliche Kontakt auch bei Professionals ein wirksames Mittel sein könne, meint Christoph Fellinger.
„Wir bemühen uns, schnell einen fachlichen Bezug herzustellen“, berichtet Tobias Becker zu den Bindungsaktivitäten von Audi. Dabei sei das persönliche Gespräch an der Tagesordnung. Die Treffen mit einem der Fachverantwortlichen finden vor Ort bei Audi statt, am Rande von Fachveranstaltungen und Events und manchmal auch in einem Biergarten. „Ansonsten halte ich per Telefon, E-Mail und persönlichen Treffen den Kontakt zu einem Talent“, gibt Tobias Becker einen Einblick in seine Arbeit.
Kontaktpflege: Sensibel vorgehen
Die Kontaktpflege muss sehr sensibel sein, schliesslich befinden sich die begehrten Ingenieure in den meisten Fällen in einem Arbeitsverhältnis und sind zur Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber verpflichtet. „Irgendwann ist die Zeit reif, ein Jobangebot zu unterbreiten“, sagt Tobias Becker. Das Signal, sich beruflich verändern zu wollen, müsse aber von dem Kandidaten kommen. „Dann informiere ich das jeweilige Personalreferat, um für das Talent nach einer konkreten Beschäftigungsmöglichkeit bei Audi Ausschau zu halten“, berichtet Tobias Becker. Zwischen dem Erstkontakt und der Unterbreitung eines Angebots liegen bei Audi im Schnitt drei bis vier Jahre.
Im Talent Relationship Management rücken zunehmend auch Kandidaten in den Fokus, die bei der Besetzung einer Stelle von dem Unternehmen schon einmal abgelehnt worden sind. Auf die Frage, warum ausgerechnet diese „Second Winner“ nunmehr eine begehrte Zielgruppe sind, sagt Christoph Fellinger: „Es kann sich dabei um sehr gute Kandidaten handeln, die zwar für eine ganz bestimmte Position noch nicht geeignet sind, für eine mögliche andere aber sehr wohl.“ Daneben setzt Beiersdorf darauf, dass sich abgelehnte Potenzialträger in anderen Unternehmen weiterentwickeln und dadurch im Laufe der Zeit interessant werden.
Second Winner: Eine neue Chance für ehemalige Bewerber
Um Second Winner nicht aus den Augen zu verlieren, arbeitet Beiersdorf an einem Link zwischen Recruiting und Talent Relationship Management. „Wir benötigen ein System, das mit dem Online-Bewerbungsverfahren verknüpft ist, bei dem die Kandidaten, sofern sie einem weiterführenden Kontakt über ihre Bewerbung hinaus zugestimmt haben, verschlagwortet sind und in dem die Kontakthistorie lückenlos hinterlegt ist“, sagt Christoph Fellinger. Für das Talent Relationship Management sei es wichtig zu wissen, welche Gespräche schon mit einem Kandidaten geführt wurden, welche Jobs ihnen angeboten wurden und für welche sie nicht in Frage kamen. In diesem Sinne könne und müsse das Talent Relationship Management vom Customer Relationship Management lernen.