Leitfaden für Arbeitszeugnisse
Das Ausstellen von Arbeitszeugnissen gehört zu den Pflichtaufgaben eines jeden Arbeitgebers. Die drei häufigsten Fehler sind Unvollständigkeit, inadäquate Formulierungen und formelle Mängel.
„Ich habe noch nie ein uncodiertes Arbeitszeugnis gesehen.“ Matthias Miescher, Rechtsanwalt und Mediator in Solothurn, weiss, wovon er spricht. Denn es sei verpönt, Negatives über einen Arbeitnehmer im Arbeitszeugnis festzuhalten. Dabei haben Arbeitnehmende in der Schweiz einen Rechtsanspruch auf ein vollständiges Arbeitszeugnis. Auch wenn die Gefahr, dass ein mit seinem Arbeitszeugnis unzufriedener Mitarbeiter vor das Arbeitsgericht zieht, laut Miescher „relativ gering ist“, gilt es, wichtige rechtliche Aspekte zu beachten“.
Arbeitnehmer haben Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis
Das Arbeitsrecht hält fest, dass der Arbeitgeber auch nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses eine „nachwirkende Fürsorgepflicht“ gegenüber ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat. Das bedeutet: „Nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, das wirtschaftliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht zu behindern“, stellt Arbeitsrechtsexperte Matthias Miescher klar. Genau das wäre jedoch der Fall, erklärt der Jurist, „wenn eine Firma kein Arbeitszeugnis ausstellen würde“.
Der Arbeitsrechtsexperte unterstreicht denn auch, dass ein Arbeitszeugnis „grundsätzlich wohlwollend, wahr, individuell und klar verständlich sein muss sowie Werturteile über die Qualität der Arbeitsleistung enthalten muss“. Solche Werturteile eines Arbeitgebers oder Vorgesetzten geben Auskunft darüber, ob ein Mitarbeitender zum Beispiel motiviert, zuverlässig, belastbar, flexibel, eigeninitiativ, verantwortungsbewusst und sozialkompetent ist und/oder ein sicheres Auftreten hat.
Was unbedingt in ein Arbeitszeugnis gehört:
- Personalien des Arbeitnehmenden definieren
- Arbeitgeber stellt sich kurz vor und beschreibt sein Tätigkeitsfeld
- Beschreibung der Funktion und der Aufgaben des Mitarbeiters
- Beurteilung der Arbeitsleistung
- Beurteilung der Arbeitsqualität
- Beurteilung des Verhaltens am Arbeitsplatz
- Führungsverhalten
- Austrittsgrund und Austrittsdatum
- Unterschrift des Arbeitgebers oder Vorgesetzten
Unvollständige Arbeitszeugnisse vermeiden
Dabei wird sich der Arbeitgeber oder ein Personalchef zunächst zu überlegen haben, wie bedeutsam die Aufgabe des ausscheidenden Mitarbeitenden für den Betrieb gewesen ist. Schliesslich, so Miescher, sei es ein gewichtiger Unterschied, ob jemand eine Kaderfunktion etwa als Bereichsleiter innehatte oder beispielsweise einen Lieferwagen umsichtig und zuverlässig durch den Verkehr steuerte. „Je nach Funktion ergibt sich ein anderer Blumenstrauss an Qualitäten“, sagt der der Anwalt. „Das Verfassen von Arbeitszeugnissen ist die Kunst, zu kommentieren und nachteilige Dinge wegzulassen.“
Aber Achtung, hier lauern Fallstricke. Laut dem ausgewiesenen Experten Matthias Miescher „ist die Unvollständigkeit eines Arbeitszeugnisses der häufigste Fehler“. Arbeitsbereiche und entsprechende Qualifikationen eines ausscheidenden Mitarbeiters würden häufig schlicht vergessen. „So entsteht ungewollt ein falscher Eindruck“, sagt Miescher. Fehle etwa der Hinweis, ob und wie sich ein Mitarbeiter mit den Kolleginnen und Kollegen verstanden hat, könne dies in Zeiten erhöhter Sensibilität für sexuelle Übergriffe bei einem potenziellen neuen Arbeitgeber die Überlegung nahelegen, der Bewerber habe sich in dieser Hinsicht etwas zu Schulden kommen lassen.
Tipp!
Unter dieser Webadresse sind die gebräuchlichsten Codierungen im Arbeitszeugnis zu finden: www.rhetorik.ch
Zum Mediator statt zum Arbeitsgericht
Um derartigen Unklarheiten und entsprechenden Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt der Anwalt und ausgebildete Mediator, dass die Parteien sich an einen Tisch setzen, um das Arbeitszeugnis zu vervollständigen. Selbstverständlich könne jemand auch mit entsprechenden Ergänzungsvorschlägen auf den Vorgesetzten oder die Vorgesetzte zukommen. Allerdings müssten sich diese Vorschläge an den gleichen Kriterien messen lassen können, die für die Arbeitgeberseite gelten. „Es geht nicht an, dass sich ein unzufriedener ehemaliger Mitarbeiter Unwahrheiten ans Revers heftet“, betont Matthias Miescher. Könnten sich die Parteien über das Arbeitszeugnis nicht einigen, „ist zu überlegen, ob eine einfache Arbeitsbestätigung nicht auch ausreicht“. Will man den Gang ans Arbeitsgericht vermeiden, sei es ratsam, gemeinsam mit einem Mediator die Lage zu besprechen und Alternativen zu erarbeiten. „Das spart Zeit, Geld und Nerven“, weiss der Solothurner Anwalt aus Erfahrung.
Ein zweiter häufiger Fallstrick sind inadäquate und nur teilweise zutreffende Formulierungen im Arbeitszeugnis. Solche fänden bei einem Chefwechsel rasch Eingang ins Zeugnis, insbesondere, wenn die Chemie mit dem neuen Vorgesetzten nicht stimmt. So könne jemand zum Beispiel sechs Jahre lang tadellos gearbeitet haben und entsprechend über gute Zwischenzeugnisse verfügen. „Er bekommt trotzdem ein schlechtes Arbeitszeugnis, weil er mit dem neuen Chef das Heu nicht auf der gleichen Bühne hat“, sagt Miescher. Seine Empfehlung: „In solchen Fällen sollte eine Drittperson das Arbeitszeugnis ausstellen.“
Regelmässig Mitarbeitergespräche führen
Der dritte Fallstrick betrifft formelle Mängel. Arbeitgeber und Personalverantwortliche sollten darum ein besonderes Auge darauf haben, dass neben der Richtigkeit der Fakten auch Name und Adresse des ausscheidenden Mitarbeiters orthografisch korrekt geschrieben sind, dass das Arbeitszeugnis tatsächlich vom Vorgesetzten und niemandem sonst unterzeichnet ist, dass das Arbeitszeugnis nicht erst ein halbes Jahr nach Ende des Arbeitsverhältnisses ausgehändigt wird oder dass das Arbeitszeugnis auf Original-Briefpapier des Unternehmens angefertigt ist.
Und zu guter Letzt ein Tipp von Arbeitsrechtsexperte Matthias Miescher: „Jeder Arbeitgeber ist gut beraten, wenn er regelmässig einmal jährlich Mitarbeitergespräche durchführt“. Die Resultate sollten schriftlich festgehalten werden, denn sie dienen als Grundlage des Arbeitszeugnisses. Miescher empfiehlt: „Aufgrund periodischer Standortbestimmungen kann der Arbeitgeber für den gesamten Zeitraum des Arbeitsverhältnisses eine Leistungsbeurteilung abgeben und so etwaigen Konflikten vorbeugen.“