Beyond Budgeting: Begeistern statt Gängeln

Beyond Budgeting ist eine Management-Denkweise, die die üblichen Planungen und Zielvereinbarungen für überholt hält. Ihr Anker ist der einzelne Mitarbeiter, der eigenverantwortlich und frei von Fremdsteuerung agiert.

Glaubt man dem Wortlaut von Stellenanzeigen, wimmelt es nur so vor Vorzeigefirmen. Manche Arbeitgeber versprechen wie in Werbeprospekten das Blaue vom Himmel. Tatsächlich aber, das zeigen Umfragen Jahr für Jahr, gibt es in den meisten Betrieben Mitarbeiter mit geringer Motivation und niedrigem Engagement. Auch die Gründe dafür sind kein Geheimnis – zum Beispiel: Statt Sinn zu vermitteln und ihre Mitarbeiter für spannende Visionen zu begeistern, hecheln Manager weltfremden Budgets und Zielsetzungen hinterher – und wundern sich, dass unvorhersehbare Ereignisse ihnen dauernd einen Strich durch die Rechnung machen.

In der Wirtschaft herrscht Diktatur

Diese Realität ist vielen bewusst, gleichwohl ist das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern in der Wirtschaft unverändert vom Taylorismus beherrscht. Davon ist zumindest Niels Pfläging überzeugt. Pfläging ist Buchautor und ein weltweit gefragter Managementkritiker. Seine These lautet: In der Wirtschaft herrscht Diktatur. Budgets und Ziele würden gnadenlos bis auf die unterste Ebene herunter gebrochen und exekutiert. Das Ergebnis dürfe niemanden verwundern: “Garbage in, Garbage out”.

Pfläging geht auch mit der gegenwärtig verbreiteten Form der Leistungsbeurteilung hart ins Gericht: “Die Leistungsmessung ist im hohen Grade subjektiv und kontextabhängig, aber niemals objektiv.” Der einzig wirkliche Grund, warum solche Beurteilungsmaßstäbe unverändert angelegt würden, sei die zielgerichtete Gängelung von Mitarbeitern – eine aus bürokratischem Irrsinn geborene Managementphilosophie. Da ist der Internationale Controller Verein (ICV), dem auch immer mehr Personalcontroller angehören, selbstverständlich anderer Meinung.

Zweifelhafte Leistungskriterien

Zwar zeigen sich die bisweilen als “Erbsenzähler” verspotteten Finanzexperten in ihrem Grundsatzpapier “Better Budgeting” neuen Denkansätzen gegenüber aufgeschlossen. So weit wie das von Pfläging favorisierte “Beyond Budgeting”, das im Prinzip von namhaften Firmen wie die Drogeriekette dm oder Toyota befolgt wird, wollen sie aber nicht gehen. Nur ein Beispiel für die unterschiedlichen Sichtweisen ist Thema “Termine und Meilensteine”: Während der ICV-Vorstand es für selbstverständlich hält, wenn das Management mit einem Team einen fixierten Leistungsvertrag vereinbart und es bei termingerechtem Projektabschluss auch angemessen honoriert, stellt Pfläging “Termintreue” als Bewertungskriterium grundsätzlich in Frage.

Termintreue könne durchaus ein “gutes” Ziel sein, “aber das weiß man doch gar nicht, bevor man nicht den Kontext beurteilt hat”. Pfläging erläutert seine Kritik an einem Beispiel: Um das Projekt unbedingt pünktlich abzuschließen, habe das Team wirklich alles getan. Aber mit einem denkbar negativen Ergebnis. “Die Qualität ist fragwürdig, der Kunde verärgert, und die Überstundenrechnung und die Projektkosten sind der reinste Horror!” Das Erreichen eines definierten Ziels zu honorieren, schlussfolgert der Kritiker, solche Anreize würden Fehlverhalten geradezu provozieren. Richtig und auch notwendig sei, dass sich das Team selbst Ziele setze. Aber Termineinhaltung sollte man nicht erzwingen, “koste es was es wolle”.

Unternehmensskandale durch fixierte Ziele und falsche Anreize

Pfläging zufolge zeigt dieses Beispiel symptomatisch, welche Konsequenzen eine versessene Zahlenfixierung im Management heraufbeschwört. Am Ende drohe Ungemach. Seiner Meinung nach ließen sich alle Unternehmensskandale der letzten Jahre auf fixierte Leistungsverträge, fragwürdige Anreizsysteme und auf das Management “per Weisung und Kontrolle” zurückführen. So sei Siemens nicht wegen krimineller Energie Einzelner in den Strudel eines Finanzskandals geraten. “Meistens gibt das Steuerungssystem den Anstoß für Missbrauch”, findet Pfläging. In der Presse heißt es dann: Controlling versagt.

Pflägings Kritiker bemängeln “esoterisch angehauchte” Denkschule

Pfläging liebt die Zuspitzung und das rhetorische Mittel der Provokation. Deshalb schlägt ihm auch die gleiche Hassliebe entgegen wie dem Managementkritiker Reinhard Sprenger. Beide nutzen die verbreitete Bewunderung gezielt für ihre Brandreden, die sie aufgrund von zahlreichen Einladungen zu Führungskräfte-Foren trotz hoher Honorare halten dürfen.

Doch nicht alle sind einverstanden mit der für Beobachter bisweilen “esoterisch angehauchten” Denkschule, die jeglichen Motivations- (Sprenger) und Planungsansätzen (Pfläging) ihre Daseinsberechtigung abspricht. Und das vereint Sprenger und Pfläging in ihrer Kritik. Verkürzt ausgedrückt dominiert bei Sprenger/Pfläging der Glaube an das schlummernde Potenzial der Menschen, das sich unbedingt aus seinen bürokratischen Klammern befreien sollte. Während die Vertreter der bisherigen Management-Lehre die Vorsicht obwalten, dass der Mensch durchaus “Übles im Schilde” führe, weshalb ihm eher mit klaren Vorgaben und strikter Kontrolle gedient sei.

Uneinigkeit unter den Controllern

Gegen den Wind anzukämpfen gehört auch für Dieter Gerlach, leitender Personalcontroller der Commerzbank, zum Standardrepertoire. Immerhin hat er das Thema Personalcontrolling vor sieben Jahren gegen den Willen des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) durchgesetzt, die das DGFP-PC-Forum seither jeweils im November in Düsseldorf ausrichtet. Nur ist er nicht willens, Pfläging zu folgen. “Seine Thesen sind noch kein Thema fürs Personalcontrolling”, sagt Gerlach. “Wer glaubt, er könne zum großen Teil oder sogar gänzlich auf Budget verzichten, irrt. Das funktioniert nicht.”

Freilich ist das Personalcontrolling selbst in die Schusslinie geraten. Kritiker hegen grundsätzlich Zweifel, dass die durch Softwareprogramme geförderten Zahlenberge tatsächlich dem ureigenen Interesse von HR dienen können, das Potenzial von Mitarbeitern im Interesse ihrer Arbeitgeber zu mobilisieren. Diese Diskussion schlägt sich nun auch beim Internationalen Controller-Verein (ICV) nieder. Auf einschlägigen Internetforen tobt zwischen dem Think Tank der deutschen Betriebswirtschaft und seinem Herausforderer Pfläging eine offene Feldschlacht über das Selbstverständnis der Controller.

Ein langer Weg zu weniger Steuerung

Pfläging spricht ihnen einfach ihre selbst zugemessene Kompetenz ab, mit strikter Budget- und Kostendisziplin Unternehmen angemessen führen zu können. Damit verfehle das Controlling auch das Ziel, Menschen zu begeistern und ihr volles Potenzial abzurufen. Wolle sich das Controlling – wie es der ICV durchaus für sich in Anspruch nimmt “von dem bisher favorisierten Steuerungsmodell aus “Weisung und Kontrolle” verabschieden, könne dies nur im Interesse der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter sein. Dies würde dann auch das Ende der Anreizsysteme sowie der Motivationslenkung durch fixe Ziele bedeuten.

Jahrelang arbeitete Pfläging selbst als Controller bei Boehringer-Ingelheim und Thyssen-Krupp. Die Grenzen der Prinzipien, nach denen Unternehmen steuern und führen, kennt er zur Genüge – für ihn ist dies eine enorme Verschwendung von Talent, Zeit und Geld. Im Zeitalter des Wissens würden Manager ihre Firmen im Takt einer Maschine führen. Dabei sei vieles einfach nicht mehr planbar. “Budgetierung”, erhält Pfläging Flankenschutz von Dieter Brandes, Buchautor und Ex-Verwaltungsrat von Aldi-Nord, sei “blindes, primitives Vorgeben von Zahlen”. Aber alles Werben um einen überfälligen Kurswechsel scheint bisher nicht die erwünschte Wirkung zu entfalten.