Wie wichtig sind Arbeitszeugnisse?
Die Bedeutung von Arbeitszeugnissen im Rekrutierungsprozess ist limitiert. Neben dem Lebenslauf als Dreh- und Angelpunkt kommt auch der Einholung von Referenzen eine grosse Bedeutung zu. Einen Trend weg vom Arbeitszeugnis möchte aber keines von sechs in einer qualitativen Umfrage erfassten Unternehmen ausmachen. Allein die Gesetzeslage würde das nicht erlauben.
Zeugnisse sind zu positiv formuliert
“Ich halte aus eigener Praxis die heutigen Arbeitszeugnisse nicht für aussagekräftig”, stellt Susanne Berger, Head of Corporate Human Resources von Valora fest. Vor allem bei leistungsbedingten Trennungen komme es regelmässig zu Unstimmigkeiten über den Zeugnisinhalt. “Da ein Zeugnis ja wohlwollend formuliert sein muss, findet sich in der Regel keine objektive Aussage über die tatsächlich erbrachte Leistung”, kritisiert Berger.
Jeder Arbeitgeber formuliert anders
Auch beim Telekommunikationskonzern Sunrise misst man Zeugnissen nicht zu viel Aussagekraft bei. Jeder Arbeitgeber pflege einen eigenen Zeugnisstil und der “Grad der Professionalität” variiere stark, wird das begründet. Im Zweifelsfall nutzt Sunrise Rückfragen beim Bewerber und Referenzauskünfte.
Nur professionelle Zeugnisse sind aussagekräftig
So geht auch der Medienkonzern Ringier vor. Professionell gemachte Zeugnisse bewertet man dort als aussagekräftig. Der Milchverarbeiter Emmi streicht heraus, dass zwischen schlechten und durchschnittlichen Zeugnissen die Unterschiede zwar gering seien, hervorragende Beurteilungen aber dennoch klar erkannt werden könnten. Dennoch heisst es: “Auf Detailebene ist die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen relativ gering.”
Lebenslauf ist meist wichtiger
Deshalb kommt dem Zeugnis im Rekrutierungsprozess bei Emmi nach dem Lebenslauf nur die zweitwichtigste Rolle zu. Aus dem Zeugnis werden Informationen zu den bisherigen Aufgaben sowie Leistung und Verhalten eines potenziellen Mitarbeiters gewonnen. Bei Ringier wird das Arbeitszeugnis gleich hoch gewichtet wie Anschreiben und Lebenslauf, wobei aus letzterem aber am meisten über Ausbildungen und Berufserfahrung hervorgeht. Anders sieht es bei Valora aus. Dort rangiert der Lebenslauf an erster Stelle, und ein stimmig verfasstes Anschreiben kann das Zeugnis deklassieren.
Gesetz zwingt zu positiver Formulierung
Allerdings finden nahezu alle Befragten, dass Arbeitszeugnisse heute generell zu positiv formuliert sind. Die Ursache dafür sei natürlich in den Vorgaben des OR zu suchen, welche den wohlwollenden Charakter vorschreiben, heisst es bei Emmi. “Wir vermuten, dass bei den Arbeitszeugnissen die positiven Aspekte hervorgehoben und die eher negativen Tatsachen weggelassen werden”, lässt Sunrise wissen.
Can Erikan, Informationsbeauftragter beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, sieht das anders. Einen solchen Trend beobachte man nicht. Zwar gebe es aufgrund der Rechtslage die Tendenz, allgemeiner und positiver zu formulieren, doch gebe es durchaus auch kritischere und differenziertere Arbeitszeugnisse.
Referenzen sind die Alternative
Wenn Firmen auf Nummer sicher gehen wollen, werden Referenzen eingeholt. Sunrise greift bereits darauf zurück, wenn ein Bewerber in der engeren Auswahl ist. Von Ringier werden Referenzpersonen gezielt zu fragwürdigen Punkten konsultiert. Swisscom möchte mit dem Einholen von Referenzen lediglich den Anstellungsentscheid validieren, teilt Sibylle Hofer, HR-Consultant beim Unternehmen, mit. Valora nutzt die Zweitmeinung je nach Bedarf, so auch Emmi. Referenzen dienen dort dazu, “das Gesamtbild, das während des Rekrutierungsprozesses entsteht, zu bestätigen oder allenfalls spezifische Zweifel auszuräumen.”
Trotzdem sind Arbeitszeugnisse oft Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Mehr als ein Drittel aller Prozesse am Zürcher Arbeitsgericht haben das Zeugnis zum Thema. Diese Fälle sind dabei oft langwierig und dauern im Schnitt fast eineinhalb Jahre.