Home, sweet Home-Office
Am Home-Office scheiden sich immer noch die Geister. Nicht einmal die Technologiekonzerne sind sich einig: Während die Yahoo-Chefin Marissa Mayer ihre Mitarbeiter Anfang des Jahres von ihren Heimarbeitsplätzen wieder an die Firmenschreibtische zurückpfiff und sogar mit Kündigung drohte, geht Microsoft gerade den umgekehrten Weg und schafft das klassische Büro ab. Ganz oder gar nicht. Ob das der richtige Weg ist? Experten bezweifeln das und favorisieren die goldene Mitte.
Von Tatjana Krieger
Für die neue Berliner Hauptstadt-Dependance wie für die Deutschland-Zentrale, die vom Vorort Unterschleissheim nach München-Schwabing umziehen wird, gelten: Der Firmenstandort wird zu Begegnungsstätte, arbeiten sollen die Angestellten vermehrt im Home-Office. „Wir sind in Deutschland eine reine Vertriebs- und Serviceorganisation, obwohl wir in der Vergangenheit unsere Mitarbeiterzahl ausgebaut haben, standen durchschnittlich zwei Drittel unserer Büroräume leer. Das klassische Büro wird eher zum Treffpunkt von Kunden, Partnern, Kollegen in dem der klassische Einzelschreibtisch immer seltener genutzt wird“, erklärte Thomas Schröder, Geschäftsführer der Microsoft Deutschland GmbH unlängst beim Wirtschaftskongress Cologne IT summit_ das neue Office-Konzept.
Arbeiten in den eigenen vier Wänden
Wird das Arbeiten in den eigenen vier Wänden damit zum Standard für alle? Fakt ist: Die Erwerbstätigen wollen es so. Einer Befragung des IT-Branchenverbandes Bitkom zufolge arbeiten heute schon zehn Prozent der Beschäftigten im Home-Office. Weitere 58 Prozent wollen entweder teilweise oder ausschliesslich im eigenen Arbeitszimmer tätig sein. Sie versprechen sich vom flexiblen Arbeiten eine bessere Work-Life-Balance und dass sich Familie und Beruf besser vereinbaren lassen.
„Die Arbeit im Home-Office erspart Angestellten viel Aufwand und manchen Ärger. Man denke nur an die tägliche Fahrt zur Arbeit und zurück“, erklärt etwa Karsten Schulte-Deussen, Bereichsleiter Befragungen und Berichte bei Great Place to Work in Köln. Dass Unternehmen ihren Angestellten gerade jetzt verstärkt entgegenkommen und den Heimarbeitsplatz genehmigen, wird von zwei Entwicklungen begünstigt.
Home-Office als Massenphänomen?
Der Fachkräftemangel macht es Betrieben zunehmend schwer, geeignetes Personal zu finden und an sich zu binden. Gleichzeitig rückt die junge Generation Y nach, die ihre ganz persönliche, neue Vorstellung von einer gelungenen Lebensführung hat. Zeitautonomie steht neben einer guten Work-Life-Balance auf ihrer Prioritätenliste ganz oben. „Das Home-Office ist im Recruiting ein Wettbewerbsvorteil. Zudem erhöht es die Mitarbeiterzufriedenheit und Motivation und trägt damit zum Erfolg des Unternehmens bei“ so Kai Zacharides, Direktor Human Resources bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.
Gleichzeitig hat die technologische Entwicklung zuletzt enorme Fortschritte gemacht. Ein schneller, günstiger Internetzugang an jedem Ort, leistungsstarke mobile Endgeräte, die sich auch für den Job nutzen lassen und Cloud-Dienste waren vor ein paar Jahren noch undenkbar. Heute sind sie Alltag. Die Zeit ist also reif für das Home-Office als Massenphänomen.
Home-Office: Standortkosten sinken
Für Betriebe hat der Trend zur Vereinzelung zwei Seiten. Unternehmen können auf motivierte, zufriedene Mitarbeiter zählen, deren Bindung an seinen Arbeitgeber über die Distanz sogar gefestigt wird. Kosten für Gebäudemieten und Büroplätze lassen sich senken. Andererseits kommen insbesondere auf die Personalabteilungen gewaltige rechtliche und organisatorische Aufgaben zu. Konzepte zur Leistungsbeurteilung, Personalentwicklung, Arbeitsschutz oder Wissensmanagement müssen komplett neu gestaltet werden.
Kritisch ist vor allem der Datenschutz. Betroffen von der Flexibilisierung sind auch die Manager in den Fachabteilungen. „Es erfordert Zeit und erhöhte Aufmerksamkeit, virtuelle Teams zu führen“, sagt Zacharides. Ob dies gelingt, hängt auch von der Qualifikation der Führungskraft ab. „Ein zu viel an Home-Office birgt für Mitarbeiter und Unternehmen auch Gefahren der Entgrenzung und sozialer Desintegration“, ergänzt Schulte-Deussen.
Die Mischung macht‘s
Wichtig ist die Entscheidung, welche Aufgaben der Mitarbeiter im Home-Office übernehmen soll und für welche Jobs er den Betrieb aufsucht. Produktive Arbeiten, die längere Konzentration am Stück erfordern, lassen sich abgeschirmt von der Hektik des Grossraumbüros besser und schneller erledigen.
Überall dort, wo Innovationen gefragt sind, kann das hemmend wirken. Denn die besten Ideen entstehen in der Gruppe: Einer hat den Einfall, der nächste nimmt ihn auf und spinnt ihn weiter, der dritte findet die Schwachstelle, der andere löst das Problem. Vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade ein hochinnovativer Konzern wie Google Heimarbeit nur in Ausnahmen erlaubt und stattdessen auf moderne Büro-Arbeitsplätze mit hohem Feelgood-Faktor setzt. Die Vorstellung vom einsamen Tüftler, der in seiner Garage den revolutionären Geistesblitz hat, ist einfach zu schön für den Alltagsgebrauch.
Auf der Suche nach dem idealen Konzept
Welches Konzept sich künftig durchsetzt, wird also entscheidend vom Marktumfeld eines Unternehmens abhängen und wie seine Personalabteilung sowie das Management die Herausforderungen bewältigt. Denkbar sind auch Mischformen aus Präsenz- und Heimarbeit, wie sie heute schon üblich sind. So kann etwa eine Strategie zur Neueinführung eines Produkts im Home-Office entworfen und anschliessend im Team verfeinert werden. Die Vorteile aus beiden Arbeitswelten lassen sich durchaus vereinen. Nachdenken kann man schliesslich auch im Schlafanzug. (Foto: Fotolia.com)