Zeitmanagement: Ganz entspannt zum Doktortitel
Zu Beginn der Doktorarbeit hat man noch alle Zeit der Welt, am Ende bricht oft Panik aus. Da hilft nur eins: den Tag nicht mit E-Mail-Checken beginnen, sondern die Primetime nutzen.
Gegen Ende der Schulzeit fiel Lutz Kerner* einfach so vom Fahrrad. Prüfungsstress, mehrere Nebenjobs, Mitarbeit in der Bibliothek, täglich nur vier Stunden Schlaf: "Das machte mein Körper auf Dauer nicht mit." Als er während des Studiums zum zweiten Mal zusammenbrach, besorgte er sich Bücher. Zuerst "Zeitmanagement für Dummies" von Jeffrey J. Mayer, dann noch ein paar andere. "Es gibt unglaublich viele Ratgeber. Man muss die Tipps ausprobieren und dann entscheiden, welche einem persönlich am besten helfen", sagt Kerner, mittlerweile Doktorand am CIS (Center for Comparative and International Studies) in Zürich.
Das CIS ist eine gemeinsame Institution der Universität und der ETH. Lutz Kerner unterrichtet an beiden Hochschulen und hat auch sonst immer noch viel um die Ohren: "Es gibt so viele tolle Projekte und Ideen, die ich umsetzen will. Der Stress hält durchaus an, aber jetzt ist er kanalisiert." Lutz Kerner hat seine Zeitmanagement-Methode gefunden. Was sie taugt, wird sich zeigen, wenn der Abgabetermin der Dissertation näher rückt. Denn von Kollegen weiss er bereits: Beim Zusammenschreiben geht der Stress erst richtig los.
Wie funktioniert Forschung?
Dabei fängt ein Doktorat meist so gemütlich an: keine Prüfungen in Sicht, Gipfeli zum Frühstück im Büro, der Tag beginnt mit E-Mail-Checken. "Doktorierende sollten sich besser schon zu Beginn schlau machen, wie man überhaupt forscht", empfiehlt Verena Steiner, promovierte Biochemikerin und Spezialistin für Lern- und Arbeitsstrategien in Zürich. Handfeste Tipps finden Nachwuchswissenschaftler in Büchern wie "How to Research?"(Loraine Blaxter et al., Open University Press). Für Geistes- und Sozialwissenschaftler hat sogar Bestseller-Autor Umberto Eco, bekannt vom "Namen der Rose", einen Leitfaden verfasst ("Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt", UTB Uni-Taschenbücher Verlag).
Schon in den ersten Monaten sollte man sich überlegen: Wie ist eine Dissertation in meinem Fachgebiet strukturiert? Gängig in vielen Fächern, vor allem in den Naturwissenschaften, ist mittlerweile die so genannte Paper-Diss, die in Fachmagazinen veröffentlichte Publikationen aneinander reiht. "Aber es gibt immer auch eine Einleitung, einen Theorieteil, den man schon früh beginnen kann", rät Verena Steiner. Das nimmt die Angst vorm leeren Blatt, wenn der Abgabetermin näher rückt.
Einen anderen Tipp verdankt Verena Steiner ihrer Tätigkeit in der Industrie. Dort musste sie alle drei Monate Berichte schreiben. "Anfangs habe ich die quarterly reports gehasst", gibt sie zu - bis sie deren Wert als Erinnerungsstütze und Hilfe zur Reflexion erkannt hat. Doktoranden empfiehlt sie eine monatliche Zusammenfassung ihrer Resultate. Oder warum nicht eine Art Tagebuch führen, über die Erfolge ebenso wie über den Frust und die Zweifel. Der eine Forscher behauptet das, der andere jenes, wie fügen sich meine Ideen und Ergebnisse da ein? Aus der Distanz gewinne man viel eher den Überblick, weiss Verena Steiner.
Die Primetime nicht verquatschen
Lutz Kerner hat Glück mit seinem Doktorvater: "Er zwingt uns schon zwischendurch zum Zusammenschreiben." Ausserdem fragt sich Kerner von Zeit zu Zeit: Was sind meine Ziele? Was hat eine hohe, was eine niedrige Priorität? Das notiert er sich auf einem Zettel und legt ihn in seine Agenda. Diese Liste hilft ihm, auch mal einen Termin abzusagen. Ausserdem gelingt es ihm so leichter, Wichtiges und Dringendes auseinander zu halten. Wer das nicht kann, nutzt seine Zeit schlecht, sagt er. Denn Dringendes ist oft nicht wichtig.
"Eine Doktorarbeit ist schlicht zu anspruchsvoll, um den Tag mit E-Mail-Checken zu beginnen", betont Verena Steiner. Die "Primetime" am Morgen sollte man für die anspruchsvollen Dinge reservieren, beispielsweise für die Planung eines aufwändigen Experiments oder die Zusammenfassung von Ergebnissen. Auch Ungeliebtes oder Aufgeschobenes lässt sich am besten in der Primetime erledigen. Diese Zeit des Tages, während der die geistige Leistungsfähigkeit ihren Höhepunkt erreicht, variiert allerdings von Person zu Person.
Die meisten Menschen sind Morgentypen. Ihre Primetime liegt zwischen acht und zehn Uhr, teils sogar früher. Extreme Abendmenschen hingegen erreichen ihr Leistungshoch erst nach 21 Uhr. Die Primetime sollte geschützt werden. Um sie nicht zu verquatschen, empfehlen sich Abmachungen mit den Kollegen, dass während dieser wertvollen Zeit Ruhe im Büro herrscht. Und wer bis tief in die Nacht im Labor steht und dann am nächsten Morgen weniger fit ist, sabotiert damit seine Primetime - es sei denn, er zählt zur Minderheit der ausgeprägten Abendmenschen.
Viel Arbeit - und trotzdem keinen Stress
Ein gutes Zeitmanagement sollte sowohl die individuellen Hochleistungsphasen als auch die Tiefs, kurz: den Biorhythmus, berücksichtigen. Wer die rhythmische Arbeits- und Lebensweise verstanden habe, schreibt Verena Steiner in ihrem Buch "Energiekompetenz", wird intensive Hochs ohne nennenswerte Anspannung erleben. Für Doktorierende in der letzten Phase der Dissertation heisst das: wenn sie im Einklang mit dem Körper arbeiten, werden sie ihr extrem hohes Pensum nicht als belastend, sondern vielleicht sogar als anregend empfinden.
Dass in den Wochen vor Abgabe der Doktorarbeit kaum Zeit für Kino, Parties und Freunde bleibt, sei ganz normal, findet Verena Steiner: "Während der intensiven Phasen im Leben kommt unweigerlich etwas zu kurz." Ausgeglichenheit gelte zwar vielen als Idealzustand, aber wenn jederzeit alles wohl balanciert sei, wäre das doch furchtbar langweilig.
(Uta Neubauer, 2007)
*Name von der Redaktion geändert