Was nun? Wenn Manager entlassen werden
Die Firmenstrategie wird geändert, Führungsfehler kommen ans Tageslicht, und manchmal muss man die Aktionäre positiv stimmen: Es gibt viele Gründe, warum Manager geschasst werden. Souverän reagieren darauf längst nicht alle. Regeln für einen gekonnten Abgang und die Zeit danach.
Von Vera Sohmer
Was im kriselnden Unternehmen auf ihn zukommen würde, überblickte Daniel Kehl (Name geändert) noch nicht in Gänze. Seine Partnerin hingegen sah es glasklar: "Sie werden dich demnächst abservieren." Eine kluge Empfehlung schickte sie gleich hinterher: "Verabschiede dich jetzt, und schau dich nach Alternativen um". Er befolgte ihren Rat: Der Manager sagte von sich aus "Arrivederci". Er tat es aufrecht und ohne sich zu grämen. Später erfuhr er, dass er tatsächlich auf der Abschussliste gestanden hatte.
Bescheidenheit ist eine Tugend
Sich mit Anstand und Stil verabschieden – vor allem bekannte Topmanager beherrschen diese Disziplin nicht immer. Müssen sie ihren Posten räumen, tun sie vieles, was sich nicht gehört und einen miserablen Eindruck hinterlässt: Sie äussern sich abfällig über ihre Nachfolger oder erteilen ihnen "schlaue" Ratschläge. Andere verfassen Bücher, in denen sie sich als Opfer widriger Umstände und übler Intrigen beschreiben. Dabei, sollte man meinen, verlangen derlei herausragende und verantwortungsvolle Positionen Reife und Souveränität.
Was läuft da schief? "Viele Führungskräfte haben nicht gelernt, mit Macht umzugehen", sagt der ehemalige HR-Verantwortliche und heutige Unternehmensberater Markus Marthaler (siehe Interview). Es fehle das Bewusstsein, dass Macht etwas Geliehenes und Vergängliches ist. Und die Posten nicht dazu da sind, das Ego zu polieren, Privilegien zu geniessen und sich als etwas Besseres zu fühlen. Sondern lediglich dazu dienen, seine Arbeitskraft und Fähigkeiten zum Wohle des Unternehmens einzusetzen. Sich also durchaus auch in Bescheidenheit und Demut zu üben.
Nicht öffentlich grämen: Topleute kennen ihre Halbwertszeit
In aller Öffentlichkeit besserwisserisch, gekränkt, trotzig oder auf Rache sinnend zu reagieren, dazu besteht kein Anlass. Topleute wissen, worauf sie sich einlassen – und dass ihre Halbwertzeit kurz sein kann, betont Karriereberaterin Claire Barmettler. "Es gehört zum Job, und wenn das jemand als zu grosse Schmach empfindet, ist er für eine solche exponierte Stelle ungeeignet." Auch, wenn ein Manager ohne Verfehlungen ins Aus manövriert wurde, heisst es deshalb: Immer souverän bleiben, nie nachtreten und keine schmutzige Wäsche waschen.
Denn: Entscheidungen des Verwaltungsrates sind oft taktisch und strategisch. Ein bisheriger CEO ist bei einer Neuausrichtung vielleicht nicht mehr passend oder opportun. Er steht für das herkömmliche Konzept. Für Kunden und Geldgeber will man aber ein neues Zeichen setzen. Sprich: Die alte Führungskraft muss weg, eine frische soll den Aufbruch signalisieren. "Das Risiko, quasi über Nacht gehen zu müssen, ist in solchen Positionen erhöht. Ein Teil des meist sehr hohen Lohnes kann als Entschädigung dafür betrachtet werden", betont Bob Schneider, Fachmann für Kaderschulungen und Outplacements.
Auch für Topkader gilt: Selbstwertgefühl und Erfolg soll man Trennen
Trennen zwischen der eigenen Person und der Funktion, die man verloren hat: Viele können das nicht. Markus Marthaler kennt ehemalige Führungskräfte, die sich derart stark über ihre Position und der damit verbundenen Wichtigkeit identifiziert hatten, dass "nach dem Verlust der Visitenkarte" praktisch nichts mehr übrig blieb. Mancher fiel ins Loch und in tiefe Depression. Bei anderen kam ein massives Suchtproblem zum Vorschein. Wie viel Alkohol und Aufputschmittel sie tatsächlich konsumiert hatten, war ihnen im prall gefüllten und hektischen Arbeitsalltag gar nicht weiter aufgefallen.
An einem solchen Punkt einzugestehen, dass sie professionelle Hilfe brauchen, fällt ehemaligen Topkadern oft schwer. Damit gefährden sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Partnerschaft und das Familienleben. "Wichtig ist die Einsicht, dass der Selbstwert nicht nur vom beruflichen Erfolg abhängt", sagt Bob Schneider. Eine Binsenweisheit vielleicht, aber leichter gesagt als getan für jemanden, dessen Leben und Streben bislang ausschliesslich auf Karriere, Ansehen und Einfluss ausgerichtet war. Und ebenso schwierig für einen Menschen, dessen – überhöhtes – Selbstbild von ehemaligen Mitarbeitern kaum je direkt und offen in Frage gestellt wurde. Laut Schneider sind solche "narzisstischen Persönlichkeiten" in Führungspositionen häufig anzutreffen.
Es gibt viele Möglichkeiten für ein Comeback
Ob und wann es empfehlenswert ist, wieder einen neuen Posten anzunehmen, hänge von der persönlichen Situation ab und davon, unter welchen Bedingungen jemand gehen musste, sagt Claire Barmettler. In der Regel klinken sich die Geschassten erst einmal aus, was sie sich finanziell ohne Probleme leisten können. Und darüber hinaus auch nicht das Dümmste ist. Usus sei, von der Bildfläche zu verschwinden und das Netzwerk zu aktivieren, um dann sechs bis zwölf Monate später mit einer neuen Herausforderung wieder an die Öffentlichkeit zu treten, sagt Markus Marthaler. Jüngstes Beispiel ist der ehemalige SNB-Chef Philipp Hildebrand, der einen Topjob beim Vermögensverwalter Blackrock antritt.
Nach einem Karriereknick in einer anderen Branche Fuss fassen und finanzielle Einbussen in Kauf nehmen, auch diese Beispiele gibt es. Wer 50 oder älter ist, sieht eine Alternative oft in der Selbständigkeit bei reduziertem Arbeitspensum. Daniel Kehl bereut seinen Neuanfang nicht. Nach längerer Aus- und Bedenkzeit liess er sich mit 52 zum Unternehmensberater und Gesundheitscoach ausbilden und ist heute sein eigener Chef. Dass sich Freunde und Bekannte vom ehedem gut situierten Paar distanzierten und sich die Nachbarn plötzlich komisch verhielten – was soll's.
Interview mit Markus Marthaler, Unternehmensberater:
"Entlassene Manager übernehmen selten die Verantwortung"
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