Was taugen Assessment Center?
Bewerber hassen Assessment Center, Unternehmen lieben sie. Was ist also dran, an den aufwändigen Auswahlverfahren, die über Karrieren entscheiden? Unsere Autorin Vera Sohmer hat recherchiert.
Von Vera Sohmer
Zum Assessment Center antreten zu müssen, geht dem jungen Versicherungsexperten gegen den Strich. "Was soll der Zirkus?" fragt er sich und fände es sinnvoller, man würde ihn im Bewerbungsgespräch fragen, was er gelernt hat, welche Erfahrung er mitbringt, warum er in der Hierarchie aufsteigen will.
Assessment Center haben einen schlechten Ruf
Stattdessen diese Übungen im Labor! Unter Beobachtung den Anschein geben, er befände sich im Arbeitsalltag. Dabei eine gute Figur abgeben. Also immer schön souverän auftreten und bloss nicht die Nerven verlieren. Und wichtig: Ambitionen zeigen, aber dennoch Teamspirit erkennen lassen. Er weiss, dass ihm solche Auftritte nicht liegen, und am liebsten würde er sich davor drücken. Wohl wissend, dass er damit als Kandidat für den Gruppenleiterposten aus dem Rennen wäre.
Assessment Center haben bei Bewerbern einen schlechten Ruf. Sie gelten als Angst- und Schikane-Instrument. Bei Firmen hingegen sind sie ein beliebtes Auswahlverfahren, mit dem Nachwuchs- und Führungskräften auf den Zahn gefühlt wird. Sie sind vor allem bei grösseren Unternehmen wie Banken üblich. Ziel der Übung: Herausfinden, wie sich Bewerberinnen und Bewerber in berufstypischen Situationen verhalten. Erfasst werden am häufigsten die Kommunikations-, Konflikt- und Kooperationsfähigkeit oder das Durchsetzungsvermögen, sagt Nils Benit, Arbeitspsychologe an der Universität Hildesheim.
Assessement Center im Wandel der Zeiten
Benit hat erforscht, was die Tests taugen und er sagt: Wer zu einem Assessment Center eingeladen wird, muss vor allem mit Fallstudien, Präsentationen und Rollenspielen rechnen. Gruppendiskussionen oder die einst beliebte Übung "Wie sortiere ich meinen Postkorb" kämen seltener vor als vor zehn Jahren. Und allen Gerüchten zum Trotz müssen Bewerber nicht mehr befürchten, dass man ihnen in der Mittagspause auf die Finger schaut. Der Umgang mit Messer und Gabel sei diagnostisch ja auch wenig aussagekräftig.
Aber auch ohne Tischmanieren-Test: Ob Assessment Center etwas bringen, ist unter Fachleuten umstritten. Benit und seine Forscherkollegen haben herausgefunden, dass es bessere Methoden gibt, berufliche Erfolgsindikatoren voraussagen. Vielversprechend seien beispielsweise strukturierte Interviews, die mit Intelligenz- und Persönlichkeitstests kombiniert werden.
Schiere Zeitverschwendung oder sinnvolles Auswahlverfahren?
Die Jörg Lienert AG für Kaderselektion plädiert dafür, sich lieber wieder in die einzelnen Bewerbungsdossiers zu vertiefen. Personalberaterin und Organisationsentwicklerin Uta von Boyen glaubt: Assessment Center seien oft nutzlos und Verschwendung von Zeit und Geld. Vor allem dann, wenn Unternehmen Standardtests einkaufen, mit denen sämtliche Kandidaten gleichgemacht werden sollen. Man tue so, sagt Uta von Boyen, als gelten für den Berufseinsteiger am Bankschalter ein und dieselben Kriterien wie für die Marketingmitarbeiterin eines Modekonzerns, die Teamleiterin werden will. Derartige Pauschallösungen besässen die Aussagekraft eines Monatshoroskops.
Deshalb: Assessment Center seien nur massgeschneidert aussagekräftig. Sie müssen zum Unternehmen passen. Hierarchieebenen gelte es dabei ebenso zu berücksichtigen wie Branchenspezifisches. Die Unternehmensstrategie spiele ebenso eine Rolle wie die Unternehmensstruktur. Bei Bewerbern nur testen, ob sie Soft Skills wie Einfühlungsvermögen oder Emotionale Intelligenz besitzen – auch dies hält Uta von Boyen für einen gravierenden Fehler. Sozialkompetent zu sein, sei wichtig, reiche aber nicht. Genauso stark komme es auf die Hard Skills an. Wem etwa als Abteilungsleiter das Fachwissen fehle, werde kaum erfolgreich arbeiten können.
Es gibt gute Assessment Center
Zu oft, so lautet ein weiterer Kritikpunkt, werden die jeweiligen Fachbereiche jedoch übergangen. Besonders dann, wenn fürs Assessment Center nur die Personalabteilung verantwortlich zeichnet – oder ein Unternehmen die Dienstleistung einkauft und damit das ganze Prüfprozedere externen Assessoren überlässt. "Interne Führungskräfte einzubinden ist elementar", sagt Uta von Boyen. Sie wissen, worauf es in der Praxis ankommt, können dazu konkrete Fragen und Aufgaben stellen. Wer die Internen mit ins Boot holt, beugt auch unguter Stimmung vor: Die eigenen Leute werden nicht übergangen; die Prüfverfahren sind somit in den Unternehmen besser akzeptiert.
Bleibt die Frage, was Bewerber vom Assessment Center haben. "Sie können es als Chance begreifen, denn im Idealfall liefert es brauchbare Hinweise, wo man steht in der eigenen Karriereentwicklung", sagt Nils Benit. Vorausaussetzung dafür ist, dass der Testlauf exklusiv für die zu besetzende Stelle ausgearbeitet wurde und wissenschaftlichen Standards genügt. Zudem sollte das Prüfverfahren fair und professionell ablaufen.
Was Bewerber vom Assessement Center haben
Dazu gehört, Teilnehmern ein qualifiziertes Feedback zu geben. Schönfärbereien am Ende des Testtages sind damit nach Uta von Boyens Angaben nicht gemeint. Es brauche eine ehrliche und präzise Rückmeldung: Was lief gut, wo gibt es Verbesserungspotenzial, welche Weiterbildung wird empfohlen. Immerhin damit, so hat der junge Versicherungsexperte von anderen Bewerbern gehört, darf er rechnen. Und bis dahin wird er das freie Sprechen mit Freunden üben. Dass dies sein Manko ist, muss man ihm nicht im Labor nachweisen.