Unzufrieden im Job. Was nun?
Ausharren am Arbeitsplatz, obwohl sie unzufrieden sind: Viele Arbeitnehmer fahren diese Strategie. Was die Gründe dafür sind. Und wann ein Stellenwechsel wirklich etwas bringt.
Von Vera Sohmer
Urs Peter Fischer (Name geändert) meidet das Betriebs-Bistro inzwischen grundsätzlich. In der Pause am Vormittag eilt er lieber die Fluchttreppe hinab und steuert schnurstracks das kleine Café ein paar Strassen weiter an. "Meine Ruheinsel", sagt der 45jährige Verlagsangestellte. Hier angelt er sich das Boulevard-Blatt vom Haken und bevorzugt eines der Stehtischchen, die man von aussen nicht sieht. Und dann freut er sich auf seinen Latte macchiato mit der extra dicken Milchschaumhaube – und vor allem darüber, ihn unbehelligt geniessen zu können.
Hätte er das Betriebs-Bistro aufgesucht, wäre er nur wieder auf "diese unsäglichen Jammerlappen" gestossen, Auf jene Kolleginnen und Kollegen mit den miesen Mienen, in die alles Elend dieser Welt eingemeisselt zu sein scheint. Und auf jene, die gerne ungefragt mitteilen, dass sie alles anödet: das miserable Betriebsklima. Vom Chef nie auch nur mal ein lobendes Wort zu hören, dessen autoritären Führungsstil ertragen zu müssen. Die Routine macht sie mürbe, und wenn sie etwas ausserhalb der Routine machen sollen, fühlen sie sich überfordert. Den Erfolgs,- Umsatz- und Zeitdruck empfinden sie als unmenschlich. Und die Bezahlung als unangemessen – während die da oben dick abzocken! Kurzum: Die Frustrierten wähnen sich im falschen Job, und am liebsten würden sie den ganzen Krempel noch heute hinschmeissen.
Einfach hinschmeissen kann nicht jeder
Dann macht doch, denken Kollegen wie Urs Peter Fischer. Denn diese haben es satt, sich Tag für Tag das Lamento anhören zu müssen. Tatsache aber ist, dass viele Unzufriedene bleiben. Dies oft aus Bequemlichkeit, Angst vor Veränderung oder wegen der Unsicherheit, ob ihre Qualifikation noch ausreicht auf dem Arbeitsmarkt. Oder weil es das Einkommen nicht zulässt, sich neu zu orientieren. Sich gar auf etwas einzulassen, was Unwägbares birgt, etwa ins Blaue hinein kündigen und sich erst einmal eine Auszeit nehmen.
Am schwierigsten sind die "fixiert Unzufriedenen". Zu diesem Schluss kommt die Erhebung zur Arbeitszufriedenheit, die das Marktforschungsunternehmen TransferPlus jedes Jahr in der Schweiz durchführt. Vier Prozent der Erwerbstätigen zählen dazu. Typisches Merkmal: Keinerlei Vorstellung, was sie gegen den Frust tun könnten. Stattdessen neigen sie zum "unglücklichen Ausharren im Job", sagt Studienleiter Patric Stocker. Dies im Unterschied zu den acht Prozent "konstruktiv Unzufriedenen", die immerhin wissen, wie sie ihre Situation verbessern können und eher über einen Jobwechsel nachdenken.
Keine Schönfärberei betreiben
Grösser ist im letzten Jahr die Gruppe jener geworden, die sich einredet, zufrieden zu sein. 37 Prozent der Beschäftigten zählen laut der Erhebung dazu. Ihre Durchhalteparole lautet: "Es könnte noch viel schlimmer sein, eigentlich ist meine Situation gar nicht so schlecht." Das aber ist ein Stück Selbstbetrug: Wer so denkt, hat nach Angaben von Patric Stocker die Ansprüche an seine berufliche Situation heruntergefahren oder sich von Plänen und Träumen verabschiedet. Also bleiben diese Beschäftigten da, wo sie sind, obschon eine latente Unzufriedenheit mitschwingt.
Ausharren statt gehen: Den Grund dafür sehen Experten auch in der angespannten Wirtschaftslage und der Krisenfurcht. Meldungen von ausser Kontrolle geratenen Börsen, drohenden Staatsbankrotten und der hohe Frankenkurs machen Arbeitnehmer vorsichtiger, beobachtet der Luzerner Laufbahnberater Urs Kaufmann. Viele halten deshalb an ihrer Stelle fest – auch wenn sie sich nicht weiterentwickeln und aufsteigen können. Sie sich ärgern über die schwerfälligen Betriebsabläufe und die harzige interne Kommunikation. Und es zwischenmenschlich knirscht im Team und mit Vorgesetzten. Businesscoach Volker Kitz findet es falsch, sich die Dinge schön zu färben. Im Klartext: In wirtschaftlich schlechten Zeiten seien Mitarbeiter genauso unzufrieden wie in guten Zeiten. Aber die Angst, sich zu verändern, sei noch grösser, während es weniger Alternativen gibt.
Die "innere Kündigung" schadet allen
Fest steht: Wer am Arbeitsplatz unzufrieden ist und nichts daran ändert, tut sich und seiner Firma keinem Gefallen. Halte die innere Kündigung an, drehe sich die Abwärtsspirale unaufhaltsam, warnt Patric Stocker. Und das nicht nur, weil Frustrierte oft Sarkasmus verbreiten und andere in den Strudel hineinziehen. Bei Unzufriedenen sinkt die Motivation, sie identifizieren sich nicht mehr mit ihrer Aufgabe. Das, was sie gerne machten und gut konnten, wird zur Last, die Last führt zu Stress, und jeder neue Stress zementiert die wahrgenommene Unzufriedenheit.
Die Leistungsfähigkeit sinkt und damit auch die Chance, dass der Arbeitgeber Potenzial im Mitarbeiter sieht. Möglich sei auch, dass sich der Betroffene isoliere und den Rückhalt bei Teamkollegen und Vorgesetzten verliere, sagt Urs Kaufmann. Bleiben oder gehen? Im schlimmsten Fall trifft diese Entscheidung dann der Chef oder die Personalabteilung. Vorher jedoch, das empfehlen Experten, sollten Vorgesetzte mit ihren unzufriedenen Mitarbeitern unter vier Augen sprechen und die Gründe für den Frust erörtern (siehe Box).
Unzufriedenheit analysieren
Selbst unreflektiert kündigen und sich blindlings woanders bewerben, ist indessen keine Lösung. Nur eine saubere Analyse kann den Weg ebnen zu einer Arbeit, die wieder mehr Freude macht. Und wer nicht klar sieht, sucht am besten Rat: bei einer Person des Vertrauens, einer Laufbahnberatung oder einem Coach. "Die Gründe für die Unzufriedenheit können in der Person, deren Biographie, aber auch im betrieblichen und wirtschaftlichen Umfeld liegen", sagt Patric Stocker.
Eine Rolle spielt darüber hinaus, ob der Frust anhält oder vorübergehend ist, ob die "Unzufriedenheitsherde" bekannt oder diffus sind, ob sie zentrale oder untergeordnete Bereiche der Arbeit betreffen. Und ob Veränderungen im Betrieb absehbar sind oder man sie selbst erreichen kann. Dies und mehr muss auf den Tisch. Dann erst kann man entscheiden, ob das Bleiben etwas bringt, im Betrieb eine andere Aufgabe in Frage kommt, eine andere Stelle sinnvoll ist oder sogar ein anderer Beruf. Auch Volker Kitz warnt: Viele wechseln den Arbeitsplatz und schieben kurz danach denselben Frust. Dies wiederholt sich dann am laufenden Band. So gesehen hätten sie auch gleich an Ort und Stelle bleiben können.
Unzufriedene Mitarbeiter:
Was Sie als Chef tun können
Anhaltende Leistungseinbussen können ein Zeichen dafür sein, dass jemand mit seiner Arbeit unzufrieden ist. Aufmerksamen Vorgesetzten fällt es auf, wenn ein guter Mitarbeiter nicht mehr das leistet, wozu er eigentlich fähig wäre. Bringen Sie das Thema unter vier Augen umgehend auf den Tisch. Schildern Sie wertfrei und neutral, was Ihnen aufgefallen ist. Erörtern Sie gemeinsam die Gründe für den Frust und loten Sie aus, ob dieser aus dem Weg zu räumen ist. Vielleicht kann sich der Mitarbeiter intern weiterentwickeln. Vielleicht hilft es auch, ihm auf bestimmte Zeit einen externen Coach zur Seite zu stellen.
Folgende Fragen helfen beim Mitarbeitergespräch:
- Was empfindet der Mitarbeiter als unangenehm bei seiner Arbeit?
- An welche Grenzen stösst er?
- Welche Haltung nimmt er dabei ein? Verfügt er über Strategien, damit umzugehen? Oder steht er dem Ganzen resigniert gegenüber?
- Sind Rückzugstendenzen spürbar? Oder verstärkte Aktivitäten auf anderen Gebieten, etwa bei sozialen Netzwerken?
- Wie stark identifiziert sich der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, dessen Zielsetzungen, seiner persönlichen Aufgabe?
- Ist diese Identifikation bei seiner täglichen Arbeit zu spüren?
- Wie schätzt der Mitarbeiter selbst seine Perspektiven in der Firma ein?
Buchtipp: Volker Kitz/Manuel Tusch: "Das Frustjobkillerbuch. Warum es egal ist, für wen Sie arbeiten.", Heyne Verlag