Bewerbungsgespräch: Lügen erlaubt
Nicht alles, was Personaler beim Bewerbungsgespräch wissen wollen, dürfen sie auch fragen. Manchmal ist für Kandidaten sogar lügen erlaubt.
"Haben Sie vor, in näherer Zukunft schwanger zu werden?" Diese Frage wurde der 29-jährigen Brigitte S. beim Bewerbungsgespräch in einer Versicherung gestellt. Darauf war sie nicht gefasst. Denn sie hatte gelesen, dass Fragen nach der Familienplanung nicht gestellt werden dürfen. Kurzentschlossen antwortete sie mit nein – obwohl sie tatsächlich darüber nachdachte, bald das erste Kind zu bekommen. "Ich habe gelogen und mich dabei schlecht gefühlt", sagt sie. "Doch wie hätte ich sonst reagieren sollen?"
Grenze zur Privatsphäre eine Gratwanderung
Brigitte S. hat richtig reagiert. "Fragen zur Familienplanung sind in einem Bewerbungsgespräch nicht erlaubt", sagt Ruth Derrer Balladore, Juristin des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Das gewährleiste der Persönlichkeitsschutz. Deshalb dürfen auch Fragen zur Parteizugehörigkeit, zur Konfession, Körperbehinderungen oder sexueller Neigung nicht gestellt werden – sofern die Information für die Stelle nicht relevant ist.
"Ob eine Frage relevant ist oder nicht, das ist eine Gratwanderung", sagt Ruth Derrer, die selbst zwölf Jahre als Personalchefin tätig war. Personaler wollen im Bewerbungsgespräch auch etwas über die Persönlichkeit des Kandidaten erfahren. "Man beginnt das Gespräch an einer Ecke und fragt nach, wenn es interessant ist." Das Ziel sei es aber, ein gutes Gespräch zu führen und nicht nur nach die Schwächen des Kandidaten aufzuspüren.
Diplomatie statt Verweigerung
Persönliche Fragen bringen Bewerber in eine unangenehme Lage. Wird die Antwort auf eine heikle Frage direkt verweigert, ist die Gesprächsatmosphäre gestört. Am besten bleibt man diplomatisch. Es gibt Strategien, wie man auf reagieren kann. Wird der Kandidat beispielsweise nach der Parteizugehörigkeit gefragt, könne er gut nachfragen, ob diese Frage wichtig sei für seine zukünftige Stelle.
Ganz heikel ist die Frage nach einer Schwangerschaft. Als Frau müsse man aber damit rechnen, dass Fragen nach der Familienplanung gestellt werden, sagt Derrer. Weil es aber in der Regel eine unerlaubte Frage ist, die in die Privatsphäre der Kandidatin eingreift, ist sie nicht verpflichtet die Wahrheit zu sagen. Dabei muss sie sich nicht vor rechtlichen Konsequenzen fürchten, da in solchen Fällen ein von den Arbeitsgerichten anerkanntes "Notwehrrecht zur Lüge" gilt. Das gilt für alle unerlaubten Fragen.
Das "Recht zur Lüge"
Diskriminierend verhält sich ein potenzieller Arbeitgeber, wenn die Kandidatin zugibt, schwanger zu sein und sie deshalb nicht eingestellt wird. Solche Fälle sind unter anderm in der Datenbank www.gleichstellungsgesetz.ch dokumentiert. Laut Corina Müller, Leiterin des Rechtsdienstes im Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, sei die Dunkelziffer wesentlich höher, da in der Datenbank nur Fälle aufgeführt seien, in denen sich die Arbeitnehmerin gewehrt hat. Auch aufgrund von Anfragen direkt betroffener Frauen kann Müller bestätigen, dass Frauen in Vorstellungsgesprächen oft zu ihren Familienplänen befragt werden. Allerdings sei es schwer nachzuweisen, dass dieses Faktum den Ausschlag für die Nichtanstellung gab.
Das Recht zur Lüge bei unerlaubten Fragen in Bewerbungsgesprächen gibt den Kandidierenden einen gewissen Schutz. Doch Lügen ist empfinden nicht alle Menschen als Lösung. Schon allein, weil nicht jeder gut lügen kann.
Auch Brigitte S. tat sich schwer mit ihrer Notlüge. Im Nachhinein, erzählt sie, sei sie froh gewesen, dass sie die Stelle bei der Versicherung nicht bekommen habe. Denn sie hätte sich geschämt, nach nur einem halben Jahr Anstellung eingestehen zu müssen, dass bei ihr nun doch ein Baby unterwegs ist.
(Jessica Francis, 28.01.2009)