Achtung Hochdeutsch: Was tun mit den Teutonen?
Deutsche und Schweizer arbeiten mal mehr, mal weniger gut zusammen. Wer sich die interkulturellen Unterschiede bewusst macht, vermeidet Fettnäpfchen.
Ein typisches Vorstellungsgespräch: Der Personaler gibt der Bewerberin die Möglichkeit, Fragen loszuwerden. Sie möchte wissen, wie viele Ferien ihr zustehen und welche Nebenleistungen wie Boni, Sonderzulagen oder Geschäftswagen sie erwarten kann. Spätestens jetzt ist klar: Die Bewerberin ist Deutsche.
Kein Schweizer Bewerber erkundigt sich im ersten Vorstellungsgespräch nach Sonderzulagen. Wenn die Unterschiede zwischen Deutschen und Schweizern schon im Vorstellungsgespräch offen zutage treten, so zeigen sie sich in der täglichen Zusammenarbeit erst recht. Den offensichtlichsten Unterschied zwischen Schweizern und Deutschen markiert ihre Sprache. Viele Schweizer fühlen sich von Deutschen überfahren, die eloquenter sind – oder zumindest so wahrgenommen werden.
Die hin und wieder vernommene Frage: "Muss ich Hochdeutsch sprechen?" zeigt, dass der Gesprächspartner Hochdeutsch eher als Pflicht empfindet. In der Mundart hingegen fühlen sich Schweizer zuhause und verhandlungssicher genug, um mit deutschen Kollegen auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Mit Ellenbogen
Dass sich Schweizer von den deutschen Einwanderern in die Ecke gedrängt fühlen, ist teilweise verständlich. In den letzten zehn Jahren verdoppelte sich die Zahl der Deutschen auf 250.000. Die meisten sind gut ausgebildet, viele greifen beim erstbesten Lohnangebot zu und sie stehen den Schweizern in Disziplin und Pünktlichkeit in nichts nach.
"Typisch deutsch", das bedeutet für viele Schweizer denn auch: arrogant, laut, mühsam und gern bereit, sich über etwas aufzuregen. "Typisch deutsch", das sind selten diejenigen Deutschen, mit denen man gern zusammenarbeitet, nach Feierabend noch ein Bier trinkt und befreundet ist – obwohl viele Schweizer solche Leute kennen. Doch Deutsche, die ihre Ellenbogen einsetzen, hinterlassen offenbar einen stärkeren Eindruck. So wie die deutsche Mitarbeiterin einer Zürcher Agentur, die es als selbstverständlich erwartete, dass der Arbeitgeber ihr einen gedeckten Parkplatz für das innig geliebte Auto zur Verfügung stellt. Ihr ehemaliger Chef merkt an, ihre Schweizer Kollegen würden sich höchstens nach einem Zustupf an die Kosten für den öffentlichen Verkehr erkundigen.
Diskussionen und Kompromisse
In Schweizer Unternehmen sind die Hierarchien flacher, was sich auch im Umgang mit Vorgesetzten widerspiegelt. Während in deutschen Teams meist einer bestimmt, wird in schweizerischen Unternehmen mehr diskutiert. Entscheidungen stehen so auf einer breiteren Basis, sie werden besser akzeptiert. Allerdings können sich Prozesse dadurch verlangsamen. "Man erzeugt auch dort einen Konsens, wo eigentlich keiner sein müsste", findet ein norddeutscher Architekt. "Es wird viel erklärt, begründet, besprochen und zugehört", sagt er.
Im Umgang mit seinem Team musste er sich ebenfalls umstellen: Konflikte kann er nicht mehr wie gewohnt kurz und heftig austragen und dann ad acta legen. Denn für einen aus seiner Sicht beigelegten Streit musste er sich nach Monaten nochmals rechtfertigen. Obwohl der Norddeutsche nach wie vor einiges in der Schweiz nicht versteht und zum Teil auch ablehnt – er glaubt, in Freiburg oder München hätte er sich ebenso fremd gefühlt. Die schweizerische Duzkultur schätzen jedoch die meisten deutschen Arbeitnehmer. "Man nimmt sich nicht ganz so wichtig, wie die Deutschen das gerne tun."
So vermeiden Sie Fettnäpfchen
Tipps für Deutsche
Die Schweiz ist Ausland, bereiten Sie sich also entsprechend darauf vor.
Vermeiden Sie Stereotypen über Schokolade, Honig und Banken.
Machen Sie sich mit der Geschichte und dem politischen System der Schweiz vertraut. Das bringt Pluspunkte.
Reden Sie kein Schweizerdeutsch, es sei denn, Sie sind ein Sprachgenie. Sonst wird man denken, Sie machen sich lustig. Verstehen sollten Sie die Mundart allerdings schon.
Vermeiden Sie es, die Endung "-li" beliebig an Wörter zu hängen. Es gibt keine "Fränkli".
Finden Sie den Schweizer und seinen Dialekt nicht niedlich.
Halten Sie sich mit folgender Aussage zurück: "Ich verstehe Ihr Schweizerdeutsch." Vermutlich spricht Ihr Gesprächspartner gerade Hochdeutsch und es ist sein Akzent, den Sie für Dialekt halten.
"Ciao zusammen" wirkt viel höflicher als "Hallo" und "Tschüss".
Warten Sie in Diskussionen kurz ab, bevor sie die anderen in Grund und Boden reden. Vor jeder Wortmeldung gibt es eine Höflichkeitspause.
Versuchen Sie nicht, die Sachebene von der Beziehungsebene zu trennen.
Bestehen Sie nicht darauf, dass Gesprächspartner Ihre sämtlichen Titel nennen. Hier sind Sie nicht der Herr oder Frau Doktor, sondern Ruedi oder Christine.
Tipps für Schweizer
Wappnen Sie sich mit einer gehörigen Portion Verständnis.
Seien Sie sich bewusst: Jeder Deutsche ist im Ausland deutscher als in Deutschland.
Deutsche wissen tendenziell wenig über die Schweiz – nicht aus Desinteresse, sondern weil die Schweizer Geschichte nicht ganz oben auf dem Schullehrplan steht.
Nicht jeder Deutsche, den Sie für aggressiv halten, meint es so. Die Formen der Höflichkeit unterscheiden sich.
Deutsche und Schweizer sind sich ähnlicher, als Sie wahrhaben wollen.
(Anett Altvater)