Temporärarbeit: Gute Jobchancen in der Schweiz
Eine Beschäftigung auf Zeit in der Schweiz ist für Europäer zunehmend eine attraktive Alternative. Denn die Temporärarbeit boomt. Aber nicht immer geht es mit rechten Dingen zu.
In der Schweiz brummt der Konjunkturmotor. Die Auftragsbücher und Kassen der eidgenössischen Unternehmen sind voll, und auf dem Arbeitsmarkt herrscht Vollbeschäftigung. Davon profitiert auch die Temporärbranche. Ihre Kunden fordern Mitarbeiter auf Zeit an, wenn kurzfristiger, unvorhersehbarer Personalbedarf eintritt, dessen Dauer schwer abzuschätzen ist: bei Krankheitsausfällen, Produktionsstörungen oder unerwarteten Auftragseingängen. Viele Baufirmen beispielsweise nutzen heute die Dienste der Temporärbüros und sparen sich so den beträchtlichen administrativen Aufwand im Personalwesen.
Schweizer Unternehmen beschäftigen 245.000 Temporärarbeiter
Nach Angaben von Suissestaffing, dem Schweizer Verband der Zeitarbeitsunternehmen, ist der Umsatz der Temporärbranche zuletzt um durchschnittlich gut zehn Prozent pro Jahr gewachsen. Die Motive, eine befristete Beschäftigung aufzunehmen, haben sich laut Suissestaffing bei Arbeitnehmern gewandelt. Für einen beachtlichen Teil der rund 245.000 jährlich im Einsatz stehenden temporären Arbeitskräfte, sagt Myra Rosinger von Suissestaffing, sei die Temporärarbeit nicht nur eine "Überbrückungslösung". Nach einer Umfrage nennen knapp 40 Prozent der Temporärarbeitenden als Motiv für die Aufnahme eines Temporärjobs ein "Bedürfnis nach Abwechslung und die freie Wahl von Zeitpunkt und Dauer ihres Arbeitsverhältnisses".
Die traditionelle Erwartung, nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz fürs ganze Berufsleben zu besetzen, ist in der modernen Arbeitswelt kaum noch einzulösen. Künftig durchläuft man zahlreiche Fortbildungen, erlernt womöglich mehrere Berufe und stellt die Arbeitskraft vielen Unternehmen zur Verfügung. Solche Patchwork-Karrieren zeichnen sich auch darin aus, dass man beispielsweise zunächst eine Vollzeitstelle annimmt, später einige Jahre freiberuflich arbeitet, um danach eventuell auf eine Teilzeitstelle zu wechseln. "Mehr Ungebundenheit und Abwechslung", beobachtet Rosinger, seien bedeutende Trends in Wirtschaft und Gesellschaftlich geworden und begünstigten so auch die Temporärbranche.
Temporär-Dienstleister rekrutieren verstärkt im Ausland
Deshalb kommen auch immer mehr Fachkräfte aus dem europäischen Ausland zum Arbeiten in die Schweiz. Seit Abschluss des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU vor fünf Jahren rekrutieren Schweizer Temporärunternehmen verstärkt im Ausland. Der Service kommt an: Interessenten kriegen den unterschriftsreifen Arbeitsvertrag zugeschickt, für sie erledigt man Behördengänge, eröffnet Konten und besorgt sogar eine Bleibe. Stark gefragt sind aktuell zum Beispiel Trockenbauer, Plattenleger und Mitarbeiter für die Fassadenisolierung. Die zunächst geltende Fachkräfte-Kontingentierung wurde erst jüngst abgeschafft. Für Angehörige der 15 alten EU-Staaten sowie Zypern, Malta und der EFTA-Staaten gilt seit dem 1. Juni 2007 vollständige Personenfreizügigkeit.
Seine Rechte gut kennen
Freilich sollten temporär Beschäftigte ihre Rechte gut kennen. Anders als in vielen europäischen Ländern folgen die Arbeitsverhältnisse in der Schweiz weniger geltendem Recht, sondern zahlreichen Branchengesamtarbeitsverträgen (GAV), die zum Teil von Kanton zu Kanton verschieden sind. Allein die größte eidgenössische Gewerkschaft, Unia, handelt rund 450 Verträge in etwa 100 Branchen aus. Faustregel: Ist die Arbeitsstelle nicht von einem der Branchenverträge geschützt, wie sie etwa für die Maschinenindustrie mit rund 120.000 Beschäftigten, das Auto- und Carosseriegewerbe (20.000 Arbeitskräfte) oder für die Reinigungsbranche in der Deutschschweiz (35.000 Arbeitskräfte) gelten, können Lohn und sonstige Arbeitsbedingungen weit unter dem von Gewerkschaften ausgehandelten Mindestniveau rangieren. Wer in den ersten drei Monaten krank wird, erhält womöglich keinerlei Lohnfortzahlung.
Zudem wird vor schwarzen Schafen in der Temporärbranche gewarnt, die festgelegte Standards wie Mindestlöhne, 13. Monatslohn und Anspruch auf bezahlte Feiertage und Weiterbildung ignorieren. "Der temporär Beschäftigte", sagt Bruno Schmucki von der Gewerkschaft Unia in Bern, "kann sich in diesem Fall an das Arbeitsamt wenden oder zu uns kommen. Anders als die Behörde schreiten wir jedoch schneller ein, wenn es um Dumpinglöhne geht oder der Arbeitsschutz vernachlässigt wird." Veranlasste Kontrollen hätten gezeigt, dass bei über zehn Prozent der Anstellungen Mindestlöhne nicht eingehalten wurden.
Auf die "kantonale Zulassung" achten
Ein wichtiges Kriterium, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass man als temporär Beschäftigter mit einem seriösen Personaldienstleister konfrontiert ist, sei die "kantonale Zulassung", so Schmucki. Für ihre Verleihtätigkeit benötigen Temporärfirmen eine Betriebsbewilligung des kantonalen Arbeitsamtes. In der Schweiz steht die Zeitarbeit unter staatlicher Kontrolle, jeder Verleihbetrieb muss bestimmte Auflagen erfüllen. Bevor man einen Vertrag mit dem Betrieb schließt, sollte man sich die Konzession vorlegen lassen.
Wer sicher gehen will, wendet sich an die regionale Arbeitsverwaltung (RAV), die alle entscheidenden Formulare und Vertragsvorlagen auch im Netz (www.treffpunkt-arbeit.ch) bereithält. Ein weiterer Rat für alle Interessenten, die kurze Arbeitseinsätze favorisieren: Ihre Altersvorsorge ist in Gefahr! Zwar sind temporär Beschäftigte als Angestellte der Verleihfirma schon vom ersten Tag an obligatorisch gegen Tod und Invalidität versichert. Das Gleiche gilt für die Beiträge, die der Arbeitgeber für die Altersvorsorge zu entrichten hat - allerdings mit folgender Einschränkung: Ist die Dauer der Anstellung kürzer als drei Monate, braucht der Arbeitgeber nichts zu zahlen. In strittigen Fällen helfen die kantonalen Ämter für berufliche Vorsorge und Stiftungen (BVS) gern weiter.
(Winfried Gertz)