So reagiert man auf Stressfragen im Vorstellungsgespräch
Wie sollen Bewerber auf Stressfragen im Vorstellungsgespräch clever und souverän reagieren? Die ABBA-Formel könnte helfen.
Von Martin Wehrle
Das heimliche Drehbuch für ein Vorstellungsgespräch lautet: Beide Seiten, Firma und Bewerber, zeigen sich nur von ihrer besten Seite. Würde Ihnen ein Personalchef auf die Nase binden, dass Ihr Vorgänger aufgrund von Mobbing gekündigt hat? Oder dass Ihr künftiger Vorgesetzter die soziale Kompetenz eines Vorschlaghammers besitzt? Kein Wort davon! Die Firma präsentiert sich nur im besten Licht.
Also ist es Ihr gutes Recht, ebenfalls Ihre Stärken zu betonen und Ihre Schwächen unter den Tisch fallen zu lassen. Aber Ihr Gesprächspartner will genau das verhindern. Immer müssen Sie mit trickreichen Fragen rechnen, die nur einen Zweck verfolgen: Ihre Schwächen und mögliche Übertreibungen in den Unterlagen aufzudecken. Welche Fragetypen sind zu erwarten? Und wie gehen Sie mit ihnen um?
Projektive Frage
Ihr Gesprächspartner bittet Sie: "Erzählen Sie mal, was Ihre Kollegen über die kleinen Schwächen des Chefs so sagen?" Diese Frage ist eine Falle: Man geht davon aus, dass alles, was Sie jetzt erzählen, in Wahrheit nicht die Meinung der Kollegen ist – sondern Ihre eigene. Und jedes schlechte Wort, das Sie über ehemalige Chefs und Firmen verlieren, weckt die Befürchtung: "Hier kommt ein Querulant daher, der auch bei uns Ärger macht!"
Souveräne Antwort: "Für die Kollegen kann ich nicht sprechen. Meine eigene Philosophie ist: nicht über den Chef, sondern mit ihm reden – und konstruktive Lösungen finden. Neulich zum Beispiel ..."
Achtung: Stellen Sie nicht einfach Behauptungen auf ("Ich bin flexibel"), sondern führen Sie Beispiele an. Das macht Ihre Antwort glaubwürdig.
Trichterfrage
Ihr Gesprächspartner eröffnet mit einer allgemeinen Frage, auf die Sie womöglich leichtfertig antworten. Und dann geht er immer tiefer ins Detail. Beispiel: "Haben Sie schon mal ein Projekt geleitet?" Wenn Sie jetzt zustimmen, schiebt er Detailfragen nach: "Wie hoch war der Etat?", "Wie viele Mitarbeiter waren beteiligt?", "Mit welchen Tools haben Sie gearbeitet?", "Welche Abschnitte waren am kritischsten?" usw.
Während es leicht fällt, bei der allgemeinen Frage zu schwindeln, zerplatzt diese Lügenblase oft beim detaillierten Nachhaken.
Darum: Rechnen Sie damit, dass einem unverfänglichen Einstieg Trichterfragen folgen – und legen Sie sich schon vor dem Gespräch glaubwürdige Antworten zurecht.
Stressfrage
Dieser Fragetyp stellt (angehende) Führungskräfte auf die Probe: Können sie mit stressigen Situationen umgehen? Oder verlieren sie die Nerven?
Neulich wollte der Personaler eines grossen IT-Unternehmens von meinem Klienten, einem verheirateten Abteilungsleiter, im Vorstellungsgespräch wissen: "Stellen Sie sich vor, Sie nehmen die Stelle in unserer Firma an und wollen umziehen – aber dann sagt Ihre Frau, dass Sie nicht mitkommt. Wofür entscheiden Sie sich: für unseren Job? Oder für Ihre Frau?"
Gemein, nicht wahr. Aber ich habe als Coach eine Formel entwickelt, mit der Sie solche Fragen locker bewältigen können:
Die ABBA-Formel. Antworten Sie in folgenden Schritten:
A llgemein
B eispiel
B ezug zur Firma
A llgemein
Bezogen auf die obige Beispielsfrage:
1. Allgemein
Arbeiten Sie zunächst ein allgemeines Thema hinter der Frage heraus, möglichst mit Bezug auf die angestrebte Position. So gewinnen Sie Zeit. Und Sie zeigen, dass Sie analytisch an Dinge herangehen: "Es gehört zu meinen Eigenschaften, dass ich schon im Vorfeld wichtiger Entscheidungen kläre: Welche Interessen verfolgen die Beteiligten? Und wie lassen sich diese Interessen unter einen Hut bringen?"
2. Beispiel
Erzählen Sie von einer Situation, in der Sie nach diesem Prinzip mit Erfolg gehandelt haben: "Zum Beispiel hatte ich in meiner letzten Firma die Aufgabe, eine unpopuläre Software einzuführen. Doch durch viele Gespräche mit den Mitarbeitern im Vorfeld ist es mir gelungen, die Vorurteile abzubauen. So ging die Einführung reibungslos über die Bühne. Natürlich habe ich mich vor der Bewerbung bei Ihnen auch mit meiner Frau abgestimmt und weiss: Sie würde voll hinter einem Umzug stehen."
3. Bezug zur Firma
Zeigen Sie auf, wie die neue Firma von Ihren Qualitäten profitieren könnten: "Auch in der von Ihnen ausgeschriebenen Position, denke ich, kommt es auf eine gute Abstimmung mit den einzelnen Fachbereichen an. Ich würde darüber nachdenken, einmal im Monat einen IT-Rundbrief zu verschicken und zu einer ‚Sprechstunde’ zu laden. Dann stimmt der Informationsfluss."
4. Allgemein
Schliessen Sie allgemein ab, um Ihre Antwort abzurunden: "Denn nach meiner Erfahrung wächst die Bereitschaft, eine Entscheidung zu tragen, wenn die Mitarbeiter vorher informiert werden oder gar mitsprechen können."
Was ist passiert? Statt mit dem Rücken an der Wand zu stehen, gelingt es dem Bewerber, die kritische Frage als Steilpass für eine Präsentation seiner Stärken zu nutzen. Kein Waterloo für ihn – ABBA sein Dank!