Gescheitert - Die Kultur der zweiten Chance
Gekündigt werden, Konkurs anmelden – Schiffbruch erleiden: Wer scheitert, gilt als Versager. Doch oft ebnen Fehlschläge den Weg zum Erfolg. Experten fordern eine Kultur der zweiten Chance.
Von Vera Sohmer
Am schlimmsten war der Moment, als Christian Zech (Name geändert) seinen Arbeitsplatz räumen musste. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen schlich er an jenem kühlen August-Morgen noch vor den offiziellen Bürozeiten ins Firmengebäude. Er senkte den Blick, als er durch die Gänge huschte. Jetzt auf jemanden zu treffen, gefragt zu werden, wie es ihm gehe, und was er denn jetzt mache, das hätte er nicht ertragen. "Ich habe mich in Grund und Boden geschämt", sagt der Marketing-Fachmann. Also suchte er hastig seine sieben Sachen zusammen und machte sich davon – wie ein Dieb oder jemand, der sonst etwas Schlimmes ausgefressen hatte.
Scheitern ist ein gesellschaftliches Tabu
Der 47Jährige hatte als Teamleiter Schiffbruch erlitten und die Kündigung bekommen – die logische Folge nach mehreren Fehlentscheiden, an die Wand gefahrenen Projekten, den ständigen Reiberein mit den Vorgesetzten. "Ich war gnadenlos überfordert", sagt er. Er konnte keine Leute führen, verlor den Blick fürs Machbare. Und verfluchte die Sandwich-Position, in der er steckte: Nach unter Chef sein, nach oben rapportieren müssen. Beiden Rollen wurde er nicht gerecht. Warum er den Job überhaupt annahm, das sei ihm erst im Nachhinein klar geworden: "Als man mich als Teamleiter ins Spiel brachte, fühlte ich mich gebauchpinselt. Es beflügelte meinen Ehrgeiz, die anderen Kandidaten auszustechen."
Ich bin im Job gescheitert – derart offene Aussagen sind selten: Scheitern sei nach wie vor ein Tabu in unserer Gesellschaft und der Wirtschaftswelt, sagt der Wiener Unternehmensberater und Buchautor Gerhard Scheucher (siehe Interview). Wir würden sozialisiert mit dem Anspruch: Gescheitert wird nicht! Und wenn es passiere, schweige man es tot, zeige mit dem Finger lieber auf die anderen "Verlierer", bei denen das Scheitern öffentlich wurde. Über diese Versager werde dann Hohn ausgeschüttet. Sie würden an den Pranger gestellt und geradezu geächtet.
Auch Erfolgsmenschen sind oft gescheitert
Ein perfides und scheinheiliges Spiel. Und eine Verhaltensweise, die folgende Tatsache verkennt: Dass selbst jene Menschen, die erfolgreich sind, selten eine schnurgerade Karriere hinter sich haben, sagt Soziologin Beate Schulze. Wahrscheinlicher sei, dass die Erfolgreichen aus Kündigungen oder gescheiteren Projekten Nutzen gezogen und gestärkt daraus hervorgegangen seien. Dass für den Erfolg oft herbe Fehlschläge und mehrere Anläufe notwendig sind, dafür gibt es viele bekannte Beispiele. So hat Henry Ford drei Versuche gebraucht, bis er die Ford Motor Company gründen konnte. Und der Gründer von Kentucky Fried Chicken hatte zuvor zwei Firmen in den Bankrott geführt.
Experten warnen jedoch vor vermeintlich einfachen Lösungen nach dem Motto: "So schlagen Sie Profit aus ihrer Niederlage". Scheitern bringe Menschen nicht selten an den Rand des Ruins, finanziell, aber auch psychisch. Da wirke manches Ratgeberbuch und der Umstand, dass Scheitern fast zur Lifestyle-Frage hochstilisiert werde, ziemlich zynisch. Und letztlich sei Scheitern auch etwas Individuelles. Was der eine als persönliche Katastrophe wertet, ist für den anderen ein Versuch, der halt schiefgegangen ist – was soll's. Es ist eine Frage der Betrachtungsweise, der Begleitumstände, der Auswirkungen.
Misserfolg nicht herunterspielen
Wenn die Konzernleitung eines US-Unternehmens beschliesst, am Standort Schweiz 200 Angestellten zu kündigen und man unter den Gekündigten ist, hat man persönlich nichts falsch gemacht, muss aber dennoch mit der Niederlage fertig werden. "Arbeitslosigkeit ist vielfach gesellschaftlich akzeptiertes Scheitern", sagt Gerhard Scheucher. Muss hingegen ein Kleinunternehmer Konkurs anmelden und seine Leute entlassen, wird man ihn eher zum Versager stempeln und mit Vorwürfen bombardieren. Auch wenn er mit seinem Start-up Gründermut bewiesen hat und nun vor den Trümmern seines Lebenstraumes steht.
Christian Zech hat sich nach der Kündigung lange geweigert, nach den Ursachen zu forschen. Er war gekränkt und wütend und suchte die Fehler bei anderen. Nach und nach aber wurde ihm klar, warum er seinen Job verlor – und dass er dafür selbst verantwortlich war. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er als Marketing-Mitarbeiter in einer anderen Firma. Es gefalle ihm sehr gut. Aus seiner "Teamleiter-Episode" hat er zwei Dinge gelernt: zum einen, dass Ego und Eitelkeit schlechte Karriereratgeber sind. Zum anderen, dass es nichts bringt, eine Bauchlandung kaschieren zu wollen. Natürlich sei er im Vorstellungsgespräch gefragt worden, ob er keine Ambitionen mehr habe, eine Führungsfunktion zu übernehmen. Seine Antwort: "Definitiv nein. Ich habe es versucht, und musste feststellen, dass es mir nicht liegt und dass ich es nicht kann". Fragen habe es zu diesem Punkt dann keine mehr gegeben.
Interview mit Gerhard Scheucher, Unternehmensberater und Buchautor, Wien: "Hinfallen, um wieder aufzustehen"
Anleitung zum "erfolgreichen Scheitern"
- Stecken Sie sich hohe, unrealistische Ziele, arbeiten Sie mit vollem Einsatz darauf hin.
- Vernachlässigen Sie Freunde und Familie.
- Ignorieren Sie sämtliche Warnsignale, suchen Sie die Schuld an Fehlern ausschliesslich bei anderen.
- Behalten Sie Ihre Ziele unbedingt bei, auch wenn sie sich als unerfüllbar herausstellen.
- Nehmen Sie keine Hilfe oder Ratschläge an.
- Gestehen Sie sich ein abzeichnendes Scheitern nicht ein, sondern kämpfen Sie mit aller Kraft gegen eingebildete und tatsächliche Widerstände.
- Resignieren Sie schlussendlich und gehen Sie unter. Bleiben Sie sodann möglichst lange am Boden liegen, hadern Sie mit Ihrem Schicksal.
- Fühlen Sie sich als Opfer, zerfliessen Sie in Selbstmitleid oder schämen Sie sich für Ihr Versagen. Aber denken Sie unter keinen Umständen über die Ursachen für Ihr Scheitern nach.
- Lernen Sie nicht aus Ihren Fehlern, sondern stecken Sie sich wieder möglichst unerreichbare Ziele.
(Quelle: "Die Aufwärtsspirale. Wie man mit Erfolg Niederlagen meistert", Gerhard Scheucher, Christine Steindorfer, Leykam-Buchverlag)