Private Probleme nicht mit ins Büro nehmen
Dauerstreit mit dem Partner oder den Kindern, finanzielle Sorgen oder schwere Schicksalsschläge: Wer zu Hause Schwierigkeiten hat, schleppt sie auch mit ins Büro.
"Nicht erst als mein Mann und ich uns getrennt hatten, schon in den schwierigen Monaten davor war ich nicht wirklich belastbar", erinnert sich Karin Mertens* an ihre Scheidung vor zwei Jahren. "Nachts habe ich Probleme gewälzt und konnte nicht schlafen. Tagsüber bin ich immer wieder mit den Gedanken von der Arbeit abgeschweift. Ausserdem war ich gereizt, und es kam auch hin und wieder zu Reibereien mit den Kollegen." Doch darauf, dass sie sich in ihrer Krisenphase auch nicht einen Tag hat krankschreiben lassen, obwohl ihr oft danach war, ist Mertens stolz.
Typische Themen: Beziehung, Kinder, Geld
"Beziehungsprobleme, die Kinder haben Schwierigkeiten in der Schule, die Hypothek fürs Haus drückt - das sind ganz typische Probleme, die Menschen mit ins Büro tragen", erklärt Michael Francesco Gschwind, Psychologe und Karriereberater aus Basel. Das führe oft zu Konzentrationsschwierigkeiten. Die Arbeit geht langsamer von der Hand, Fehler passieren. "Besonders schlimme Auswirkungen kann das haben, wenn die Person Kontroll- oder Regelfunktionen zu erfüllen hat. In so einem Fall muss der Betreffende das in jedem Fall seinem Vorgesetzten mitteilen."
Wer dagegen vorrangig am Schreibtisch Akten bearbeitet oder mit Kunden telefoniert, dem bleibt es selbst überlassen, ob und wann er sich Kollegen oder dem Chef anvertraut. "Aber verheimlichen kann man es sowieso nicht", sagt Silvia Fauck, Psychologische Beraterin und Firmencoach aus Berlin. Und dann sei es besser, von selbst darüber zu sprechen, als Gerüchte aufkommen zu lassen.
Den richtigen Zeitpunkt abwägen
"Einen tragischen Todesfall in der Familie würde ich sofort in der Firma mitteilen", gibt die Linzer Arbeitspsychologin Olga Kostoula ein Beispiel. "Geht es um eine Scheidung, muss man abwägen, welcher Zeitpunkt der beste ist. Das hängt vom Betriebsklima ab." Sie sieht ein mögliches zusätzliches Problem darin, dass der Betreffende durch das Offenlegen seiner Schwierigkeiten anfällig wird für Angriffe oder Ausgrenzung.
Bis hin zum Mobbing könne das führen. "Man braucht ein bisschen Fingerspitzengefühl, um die Situation einzuschätzen: Wem traue ich zu, dass er vertrauensvoll mit dem umgeht, was ich ihm erzähle?"
Identifikation mit dem Team
Fest steht: Wer seine Probleme im Büro wälzt, verliert Energie für die Arbeit und verursacht seiner Firma damit Kosten. "Gesund wäre es darum, wenn Unternehmen eine Vertrauensperson zur Verfügung stellen, die man als Mitarbeiter unbeobachtet aufsuchen kann", regt Silvia Fauck an. "Also keine psychologische Beratungsstelle im eigenen Haus, sondern einen Ansprechpartner im externen Büro."
Doch das Bewusstsein, damit nicht nur ihren Angestellten, sondern auch der Firma selbst etwas Gutes zu tun, fehlt noch: "Ein Personalleiter sagte neulich zu mir, das sei wohl das Letzte, wenn er sich auch noch um die privaten Probleme seiner Mitarbeiter kümmern müsste", erzählt die Berliner Motivationstrainerin kopfschüttelnd. Und genau darum trauten sich die wenigsten Betroffenen, ihre Probleme offen im Büro anzusprechen: "Das entspricht meist nicht der Unternehmenskultur."
Ablenkung ist heilsam
Eine Tatsache, die auch die Linzer Beraterin Olga Kostoula unverständlich findet. "Das Menschliche und die Ökonomie sollten vereinbar sein. Wenn der Mitarbeiter Unterstützung von Seiten des Unternehmens erfährt, wächst seine Identifikation mit dem Team und der Firma gewaltig", sagt sie. "Ausserdem schöpft der Mensch Kraft aus dem Privaten", ergänzt Silvia Fauck. "Die Missachtung der privaten Probleme eines Mitarbeiters ist zum Schaden des Unternehmens - zum Beispiel, wenn derjenige sich schliesslich krankschreiben lässt."
Doch in den meisten Unternehmen muss der geplagte Mitarbeiter selbst sehen, wie er seine Situation managt. "Bei vielen kann man beobachten, dass sie sich richtig in die Arbeit stürzen und Situationen wie zum Beispiel Kaffeepausen vermeiden, weil dann die Gedanken wieder hochkommen würden", erklärt der Baseler Psychologe Michael Gschwind.
Strategien, um arbeitsfähig zu bleiben
Männern fällt das Abschalten meist leichter als Frauen, sagt Olga Kostoula. Aber das habe auch Nebenwirkungen: "Frauen sind eher bereit, sich mit ihrem Problem zu konfrontieren, Männer verdrängen es und lassen das Problem so wachsen." Die Ablenkung durch Arbeit könne in Massen aber auch gut sein: "Wenn man die Beschäftigung mit den Problemen unterbricht, kann das sehr heilsam sein."
Und dafür gibt es Strategien: "Jetzt ist es acht Uhr, jetzt ist Arbeitszeit - das kann man sich vornehmen und dann funktioniert das auch", sagt die Psychologin aus Österreich. Die erste Stunde sei zwar schwierig, aber dann komme man schon auf andere Gedanken.
Aus dem Teufelskreis ausbrechen
Auch Michael Gschwind rät zum Vertagen: "Man sollte sich sagen: 'Ja, das ist ein Problem, aber ich nehme mir die Zeit dafür nach der Arbeit'." Das Thema, das einen umtreibt, könne man zum Beispiel in ein Heft schreiben, es zuklappen und so seine Probleme symbolisch zur Seite legen - bis man sie abends wieder hervorholt.
Man müsse aus dem Teufelskreis des Daran-Denkens ausbrechen, sagt Gschwind. "Man muss sich bewusst machen, dass Grübeln nichts ändert. Das verbraucht nur Energie. Einmal darüber nachdenken reicht." Auch die so genannte positive Selbstinstruktion hält er für ein hilfreiches Mittel.
Aus der Vergangenheit lernen
"Sagen Sie sich: 'Das wird schon gehen!' Man sollte immer versuchen, ein Problem als lösbar einzuschätzen, auch wenn es in diesem Moment unlösbar erscheint." Die Erinnerung an andere erfolgreiche Problembewältigungen ist auch sinnvoll: "Gab es mal eine ähnliche Situation? Wie habe ich das Problem damals gelöst? Kann ich die Strategie wieder anwenden?"
Karin Mertens hat damals ein bisschen von all dem versucht: Sie hat sich in die Arbeit gestürzt, den Kollegen in aller Ruhe in ihrem Team von der bevorstehenden Scheidung erzählt und mit einer Kollegin in der Mittagspause sogar Details besprochen, wenn der Druck zu gross wurde. Und darüber hinaus hat sie ihren Chef informiert. "Es war kein gutes Gefühl, meine Geschichte im Büro auszubreiten, aber ich wollte doch, dass die anderen wissen, woran es liegt, dass ich manchmal neben der Spur bin."
(Andrea Pawlik, 2007)
*Name von der Redaktion geändert
Monster-Buchshop bei Amazon.de
Hannelore Fritz:
"Besser leben mit Work-Life-Balance"
Eichborn 2003, 192 Seiten
Seiwert, Küstenmacher:
"Simplify your life"
Campus Verlag 2004, 383 Seiten