Präsentismus: Sich krank zur Arbeit schleppen

von Monster Contributor

Angestellte, die sich krank zur Arbeit schleppen – dies galt lange Zeit galt als Beweis für Loyalität und Tapferkeit. Doch das ist ein Trugschluss. Warum es schädlich ist, anwesend, aber nicht bei der Sache zu sein.

Die Arbeitswelt kennt merkwürdige Phänomene. Präsentismus beispielsweise: die Angewohnheit der Angestellten, krank am Arbeitsplatz zu erscheinen. Aus lauter Angst, den Job zu verlieren, aber auch, weil sie Pflichtbewusstsein demonstrieren oder sich stark über ihre Arbeit identifizieren.

Krank sein bedeutet nicht krank zu feiern

Typische Beispiele: Die Buchhalterin findet es unverantwortlich, "krank zu feiern". Wer soll denn ihre Arbeit machen? Also kriecht sie trotz elender Erkältung ins Büro. Wo sie hauptsächlich seufzt und sich schneuzt, mit ihren Abrechnungen hoffnungslos in Verzug gerät und Fehler über Fehler produziert.

Oder der regungslos auf den Bildschirm starrende Controller, dessen Gedanken ständig wegdriften, seit er sich von seiner Frau getrennt hat: Wohnungssuche, Umzug, Scheidungstermin, knappe Finanzen, der ganze Behörden- und Papierkram. Anwesend abwesend sein oder sich kaum auf den Beinen halten können: So sind Mitarbeiter kaum in der Lage, Leistung zu bringen.

Produktivitätsverlust durch Präsentismus

Präsentismus ist ein gravierendes Problem. "Aber in vielen Firmen ist man sich dessen nicht bewusst", sagt Katharina Walser, Präsidentin des Schweizerischen Verbands für betriebliche Gesundheitsförderung. Personalverantwortliche konzentrierten sich meistens darauf, jene Kosten in den Griff zu bekommen, die direkt durch Fehlzeiten entstehen. Sie verkennen dabei, dass Präsentismus etwa zehnmal teurer ist als Absentismus, betont Stefan Boëthius vom Mitarbeiter-Beratungsdienst Icas.

Nach seinen Angaben macht der Produktivitätsverlust durch Präsentismus 20 bis 30 Prozent der direkten Lohnkosten aus. Hinzu kommen Begleitkosten wegen teurer Fehler, Unfällen, Produktionsausfällen, schlechter Arbeitsqualität oder unzufriedener Kunden.

Niedrige Abwesenheitsraten sind nicht immer ein gutes Zeichen

Kommen Mitarbeiter wiederholt krank zur Arbeit, besteht die Gefahr, dass diese sich gegenseitig anstecken und wesentlich länger brauchen, vollständig zu genesen. Schleppen sie sich mit Kummer und Sorgen an den Arbeitsplatz, muss damit gerechnet werden, dass sie stressanfälliger reagieren, Krankheiten chronisch verlaufen und sich psychische Leiden wie Depressionen oder Burn-out ausbreiten.

Präsentismus verursache häufig eine Teufelsspirale, die nicht selten in Fehlzeiten endet, sagt Boëthius. Aus Präsentismus entstehe Absentismus. Dies zwar zu einem späteren Zeitpunkt, aber zwangsläufig. Somit sei es nicht immer ein gutes Zeichen, wenn ein Unternehmen niedrige Abwesenheitsraten aufzeigen kann.

Umfassende Konzepte

Was tun? Die Mitarbeiter anweisen, daheim zu bleiben und sich auszukurieren? Das allein wäre wohl wenig hilfreich, sagt Katharina Walser. Sie sieht die Lösung im betrieblichen Gesundheitsmanagement, einem systematischen und umfassenden Konzept. Dazu gehöre sicherlich Aufklärung, denn jeder einzelne sei schliesslich für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden verantwortlich.

Zudem könne eine Firma Fitnesskurse oder Seminare zur Stressbewältigung anbieten. Und externe Beratung für Mitarbeiter, die Probleme haben am Arbeitsplatz – oder sich wegen privater Sorgen nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren können.

Auch eine Aufgabe des Managements

Wer aber dem schädlichen Phänomen Präsentismus auf den Grund gehen und es in den Griff bekommen will, müsse Firmenstruktur und Arbeitsbedingungen durchleuchten: Sind die Mitarbeiter gefordert, aber nicht überfordert? Haben sie Kontrolle über ihre Arbeit? Legt man im Betrieb Wert auf eine Vertrauenskultur? Auf offene Kommunikation? Soziale Unterstützung?

"Vor einer derartigen Bestandsaufnahme schrecken jedoch viele Firmen zurück", sagt Katharina Walser. Nicht zuletzt aus Angst vor den Konsequenzen: Denn oft sei das Management gefordert, an seinem Führungsstil zu arbeiten.

(Vera Sohmer)

Weitere Informationen

www.gesundheitsfoerderung.ch
Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (unter anderem mit Infos über das Label "Friendly Work Space")

www.kmu-vital.ch
Programm für Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Betrieben

www.svbgf.ch
Schweizerischer Verband für Betriebliche Gesundheitsförderung