Ich bin dann mal offline: Wenn online nervt
Mailen, surfen, skypen und zwischendurch noch schnell eine SMS empfangen. Ständig auf allen Kanälen zu kommunizieren kann nerven und die Produktivität stören. Was man dagegen tun kann.
Von Vera Sohmer
Der Versuch mutet befremdlich an: Der deutsche Trendforscher Jörg Jelden hat sich den Internet-Zugang sperren lassen. Ins Netz kommt er nur, wenn er zum Administrator geht und sich den Server wieder freischalten lässt. Sinn und Zweck des Entzugs: Endlich mal ungestört arbeiten können.
Immer erreichbar zu sein ist Stress
Man fragt sich: Warum bleibt Jörg Jelden nicht einfach selbst draussen? Er schaffe es nicht, bekannte er gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit". Wenn er Zugang zum Netz habe, nutze er jede noch so kleine Konzentrationsschwäche sofort, um sich abzulenken.
Das klingt nach den Bekenntnissen eines Online-Abhängigen und löst bei jemandem, der derlei Suchtverhalten nicht zeigt, Kopfschütteln aus. Dass elektronische Medien oft stören und nervtötend sind, kann hingegen jeder Büromensch bestätigen. Denn manchmal droht er zu ertrinken in der Flut eingehender Nachrichten. Hinzu kommt, dass man bei jedem Mail-Alarm jäh aus den Gedanken gerissen wird und sich nicht mehr auf das konzentrieren kann, was man eigentlich zu erledigen hat. Dies löst nicht nur Fluchtiraden und Stress aus, sondern kostet Zeit und geht zu Lasten der Produktivität.
Drei Minuten Arbeitszeit bis zur nächsten Störung
Laut Schätzungen beschäftigen sich Schweizer Arbeitnehmer im Durchschnitt fast eineinhalb Stunden pro Tag allein mit Mails. Ob diese nun nötig sind oder nicht. Zeitmanagement-Experten rechnen vor, dass im Schnitt elf Minuten bleiben, um ungestört an einer Aufgabe zu arbeiten. Dann blinkt es in der Mailbox, bimmelt das Smartphone, schickt jemand eine SMS. Nach jedem Unterbruch braucht man acht Minuten, bis man sich wieder in seine Aufgabe vertieft hat. Bis zur nächsten Störung sind somit nur drei Minuten effektive Arbeitszeit übrig. Aufhorchen lassen auch Ergebnisse einer Basex-Studie, wonach die Informationsflut in den USA jährlich rund 650 Milliarden Dollar an Produktivität vernichtet.
Angesichts dessen wird die Forderung nach Offline-Zonen nachvollziehbar. Scheint es einen Sinn zu ergeben, sich zumindest mehrere Stunden am Tag vom Netz abzuschneiden oder abschneiden zu lassen, beispielsweise mit spezieller Software wie MacFreedom, Rescue Time oder Anti-Social. Willy Knüsel, Trainer für Arbeitstechniken, hält von derartigen Radikalmassnahmen nichts. Und hat in der Praxis kaum je erlebt, dass jemand nur noch im Internet hängt oder dauernd seine Mails checkt. Wäre dies der Fall, würde ein Mitarbeiter keine Leistung mehr bringen. Und dann sollte ein Chef den Ursachen auf den Grund gehen – und nicht Symptome bekämpfen, indem er den Internet-Zugang kappen lässt.
Es muss nicht die Radikallösung sein. Viel haben wir selbst in der Hand
Knüsel plädiert für einen vernünftigen Umgang mit elektronischen Medien, allen voran den E-Mails. Und widerspricht der Annahme, der Büromensch sei ihnen ausgeliefert. Die Zahl der Nachrichten zu dezimieren, habe man selbst in der Hand. Oberste Regel dafür: Viele Mails zu verfassen, heisst, viele zu bekommen. Bevor man in die Tasten greift, sich daher überlegen, ob es angebracht und nötig ist. Ist der Sachverhalt kompliziert, lieber telefonieren.
Und immer daran denken: Wer unter Absicherungsmanie leidet und möglichst viele aufs "Cc" nimmt, löst E-Mail-Lawinen aus und geht darin irgendwann selbst unter. Und jene, die Antworten wie "wird erledigt" verfassen und dafür noch Lesebestätigungen fordern, sollten sich wirklich sperren lassen – und erst einmal lernen, wie sie es richtig machen.
Wie Sie ungestört arbeiten können
- Checken Sie Mails höchstens dreimal am Tag
- Schalten Sie für Aufgaben und Mails alle Signale aus
- Schaffen Sie Zonen für konzentriertes Arbeiten, zum Beispiel: eine Stunde Outlook und Smartphone ausschalten
- Die meisten Menschen haben Ihre Hochs von 7 bis 10 und ab 15:30 Uhr. Versuchen Sie, diese Hochs für konzentriertes Arbeiten zu nutzen
- Fragen Sie sich, ob sie all den technischen Schnickschnack überhaupt brauchen. Nach Angaben von Willy Knüsel gibt es CEOs, die weder Handy noch E-Mail-Zugang haben
- Der Mensch ist nicht fürs Multi-Tasking geschaffen. Arbeiten Sie wieder gemächlicher, wickeln Sie Aufgaben nacheinander ab
- Führen Sie alle zeitlich überschaubaren Aufgaben rasch aus. Das ist besser als sie zu verwalten. Aufgeschobenes wird zur mentalen Belastung – einer "inneren Störung"