Mit dem Chef auf Dienstreise: Die 24-Stunden-Prüfung
Mit dem Chef auf Dienstreise gehen, ist eine Herausforderung. Mit ein wenig Vorbereitung wird keine Vergnügungsreise daraus – aber auch kein Höllentrip.
Von Tatjana Krieger
6:00 – Die Anreise
Um diese Uhrzeit erkennen die meisten Menschen nicht einmal ihr eigenes Spiegelbild. Seien Sie trotzdem fit, ausgeschlafen und auf Zack. Von nun an müssen Sie jeden Moment funktionieren. Sollten Sie gemeinsam mit dem Auto anreisen, klären Sie zunächst, wer fährt. Vermutlich wird Ihr Boss sich das Steuer nicht aus der Hand nehmen lassen. Wenn er unterwegs ist wie er arbeitet, Vollgas und immer auf der Überholspur, geben Sie dennoch einen souveränen Beifahrer ab und kritisieren nicht. Es sei denn, Ihnen zittert vor Angst so die Hand, dass Sie Ihren "Coffee to go" verschütten.
Sollte Ihr Vorgesetzter wollen, dass Sie fahren und dabei auf einen rasanten Fahrstil drängen, bleiben Sie gelassen. "Jetzt können Sie unter Beweis stellen, dass Sie eine standhafte Persönlichkeit sind", sagt Knigge-Trainerin Elsbeth Trautwein aus Vogtsburg. Sie rät zu einem charmanten Konter, etwa "Chef, Sie können es sich leisten Ihren Führerschein zu verlieren. Ich aber nicht. Wie soll ich sonst pünktlich zur Arbeit kommen?"
Bei einer Anreise per Zug oder Flugzeug empfiehlt sie, dem Chef im Verhalten zu folgen. Wenn er liest, dann lesen Sie auch, wenn er plaudern will, plaudern Sie mit ihm. "Wenn Sie seinen Geschmack wirklich gut kennen, bieten Sie ihm an, gemeinsam eine mitgebrachte DVD anzusehen."
9:00 – An die Arbeit
Endlich entspannen. Wie immer bei der Arbeit. Das Meeting mit Geschäftpartnern, Kunden oder Lieferanten beginnt. Im Idealfall haben Sie mit Ihrem Vorgesetzen zuvor schon durchgespielt, wer welche Rolle einnimmt, was das Verhandlungsziel ist und wie Sie in einzelnen Situationen reagieren.
"Auf der sicheren Seite steht, wer seinen Boss schon vor der Anreise gefragt hat, was von ihm erwartet wird", so Trainerin Trautwein. "Was mache ich an der Reise besser? Was habe ich an Arbeitsmaterial dabei? Muss ich Protokoll führen? Um diese Fragen zu klären, darf man seinen Chef vorher auf einen Kaffee einladen."
13:00 – Der Business-Lunch
Endlich eine vertraute Situation. Sie waren doch schon einmal mit Ihrem Chef essen? Interessieren Sie sich für seine Hobbys ("Sie züchten Koi-Karpfen? Wie possierlich!"), zeigen Sie Mitgefühl ("Nur ein 5er BMW als Firmenwagen? Sie Ärmster!") und lachen sie Ihr Angestelltenlachen, wenn Ihr Boss einen Witz reisst.
Ansonsten haben Sie die Regeln des belanglosen Tischgeplänkels verinnerlicht: Politik ist tabu, Religion geht eingeschränkt und sofern man nicht wertet, Sport besser nur, wenn man die gleiche Mannschaft unterstützt und auf der selben Seite steht. Was immer funktioniert: Die Küche, die Umgebung, Anmerkungen zu Land, Leuten und Kultur - solange man sich nicht abfällig äussert.
14:00 – Mit letzter Kraft
Normalerweise schalten bei Ihnen um diese Zeit Kopf und Kreislauf einen Gang herunter, um das Mittagessen zu verdauen. Selbst Schuld. Das hätte Ihnen einfallen sollen, bevor Sie vorhin den schweren Sauerbraten mit Kartoffeln und einer Extra-Portion Sosse statt Salat mit Fisch bestellt haben. Da müssen Sie jetzt durch: Haltung zeigen, motiviert tun, einen klaren Blick simulieren. Für Letzteres helfen Augentropfen. Ansonsten gilt das Gleiche wie schon am Vormittag.
19:00 – Das Abendessen
Auch wenn es schon spät ist: Verzichten Sie darauf, ihren Chef zu erinnern, dass Sie jetzt Feierabend haben. Wenn er mit Ihnen zu Abend essen möchte, gehen Sie mit. Einzige Ausnahme: "Wer wirklich sehr erschöpft ist, darf auch höflich ablehnen", so Knigge-Expertin Trautwein. Wer sich entscheidet mitzugehen, sollte weiterhin dem Small-Talk-Kodex folgen.
Auch wenn Ihnen den ganzen Tag schon die Diabetes-Erkrankung der Cousine oder der Schulverweis Ihrer Tochter Sorgen bereitet – erzählen Sie nichts allzu Persönliches, sondern plätschern an der Oberfläche. Den Tag Revue passieren lassen, die Einschätzung der Verhandlungen grob zusammenfassen, das Essen loben – solche Nichtigkeiten machen Sie zu einem angenehmen Gesprächspartner. Diese Etappe gelingt Ihnen? Dann stehen die Chancen gut, dass der Abend noch länger wird.
22:00 – An der Hotelbar
Wenn Ihr Chef nach dem Dinner auf einen Absacker in die Hotelbar möchte, sind Sie noch nicht aus dem Schneider. Kneifen ist nur was für Feiglinge. Die gute Nachricht: Sie dürfen trinken, soviel sie wollen. Die Schlechte: "Man muss zu jeden Zeitpunkt mit dem Trinken aufhören können und klar im Kopf sein" , so Trautwein.
Wer sich wie viel Wein, Bier oder Longdrinks erlaubt, richtet sich also nach der persönlichen Trinkfestigkeit. Verträgt ihr Chef allerdings mehr als Sie und gehört dem Typus "Work hard, party hard an", müssen Sie zu Trick 17 greifen. "Lassen Sie sich ein Weissweinglas bringen und trinken daraus Wasser. Wenn Sie dem Kellner das frühzeitig mit einem Fingerzeig signalisieren, wird er den restlichen Abend auch nur Wasser nachschenken", rät die Knigge-Expertin. So können Sie jederzeit mit Ihrem Boss anstossen - ohne die Kontrolle zu verlieren.
00:01 – Endlich alleine
Geschafft. Sobald sie die Türe zu Ihrem Hotelzimmer hinter sich zugezogen haben, können Sie aufatmen. Widerstehen Sie dennoch dem Impuls, sich noch einen Schluck aus der Minibar zu genehmigen. Und Finger weg von der TV-Fernbedienung. Sehen Sie zu, dass Sie stattdessen jeden Minuten Schlaf abbekommen, die Sie kriegen können. Morgen geht's weiter.