Mehr Gehalt geht immer
Auch wenn die Firma in der Krise steckt, darf man eine Gehaltserhöhung fordern. Man muss es nur richtig anpacken, um erfolgreich zu sein.
Von Christoph Stehr
"Ich würde Ihnen ja mehr zahlen, aber Sie wissen doch: die wirtschaftliche Lage…" Nie haben es Vorgesetzte leichter, ihren Mitarbeitern den Wunsch nach einer Gehaltserhöhung auszureden, wie in Zeiten, in denen es dem Unternehmen wirtschaftlich nicht gut geht. Oder nach schweren Krisen oder vor Krisen, die sich anbahnen.
Neue Bescheidenheit
Verluste ausgleichen, Investitionen nachholen, Rücklagen bilden – das klingt so logisch, dass Arbeitnehmer nicht lange nachfragen, ob ihr Unternehmen ihnen wirklich nicht mehr zahlen kann. Oder nicht mehr zahlen will.
Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes macht doppelt bescheiden. Wer beruflich etabliert ist, aber keine herausragenden Leistungen bringt und ein Privatleben durchaus zu schätzen weiss, versucht möglichst wenig aufzufallen – schon gar durch die Forderung nach einer Gehaltserhöhung. Warum die schlafenden Hunde wecken, deren Job es ist, teure Minderleister wegzubeissen?
Jetzt erst recht!
Doch diese Rechnung geht selten auf. "Nie vergessen: Das Gehalt spiegelt die Wertschätzung der Firma wider", mahnt Martin Wehrle, der in Jork bei Hamburg als Gehaltscoach arbeitet. "Wer viel verdient, wird hoch geschätzt – und sitzt in der Krise sicherer."
"Wenn das Unternehmen nicht völlig von der Krise geschüttelt ist, können Sie trotz der allgemeinen psychologischen Hürden eine Gehaltserhöhung verlangen", sagt Ingrid Mylena Kösten. Die Wiener Karriereberaterin kalkuliert ganz nüchtern: Gerade weil in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die meisten Mitarbeiter finanzielle Forderungen zurückstellten, verbessere dies die Aussichten jener wenigen, die dennoch den Finger heben. Anders ausgedrückt:Stimmen die Umsätze, rennt jeder zum Chef und verlangt mehr Geld – was dessen Verhandlungsspielraum natürlich einengt.
Gründlich vorbereiten
Claudia Kimich, Karriereberaterin in München, plädiert für offensives Auftreten: "Ich denke, es sichert eher den Arbeitsplatz als dass es ihn gefährdet." Die Chancen, eine Gehaltserhöhung durchzusetzen, seien die gleichen wie in wirtschaftlich ruhigen Zeiten, "nur die Vorbereitung sollte anders laufen".
Kimich empfiehlt, noch gründlicher zu recherchieren, wie das Unternehmen dasteht, wo Risiken liegen und welche Zukunft es hat. Ausserdem sei es sinnvoll, "Antworten auf die üblichen Vertröstungs-Killerphrasen parat zu haben."
Krise als Chance
K wie Karriere: Um beruflich weiterzukommen, müssen Sie auf- statt abtauchen. Also zusätzliche Verantwortung übernehmen, neue Projekte starten. Wenn ein Unternehmen in der Krise steckt, ist dafür eine gute Gelegenheit, weil viele Kollegen dann einen Gang zurückschalten. Wenn Sie Ihre Leistungsoffensive Ihrem Chef vorstellen, sind Sie zwangsläufig beim Thema Gehalt.
R wie Risiko: Aktionismus bringt nichts. Deshalb dürfen Sie auch in einer für Ihr Unternehmen scheinbar aussichtlosen Lage nicht die Realität aus dem Blick verlieren. Prüfen Sie neue Projekte extra sorgfältig. Nehmen Sie auch kleine Erfolge mit. Auf die Gehaltsverhandlung übertragen heisst das: Fünf Prozent mehr sind schon gut; mit 15 Prozent schiessen Sie über das Ziel hinaus.
I wie Image: Machen Sie sich einen Namen im Unternehmen und darüber hinaus, bei Kunden, Lieferanten, Verbänden. Dass Sie in der Krise erfolgreich waren, ist für später die beste Visitenkarte. Mit Ihrer Forderung nach mehr Gehalt signalisieren Sie: Mit mir ist immer zu rechnen! Das festigt Ihre Verhandlungsposition in der Zukunft.
S wie Sympathie: Unter grossem Druck rücken Teams zusammen, arbeiten länger und intensiver Hand in Hand. Dabei lernt man einander wirklich kennen. Wenn Sie offen, freundlich und hilfsbereit auftreten, empfehlen Sie sich als Alphatier. Von hier bis zur nächsten Beförderung – und Gehaltserhöhung – ist es nicht weit.
E wie Ende: Das Schwierigste am Krisenmanagement ist es, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann die Krise vorbei ist. Denn dann müssen Sie umschalten, zum Beispiel von "Powern unter Volllast" auf ein gesundheits- und familienverträgliches Arbeitsmass. Ziehen Sie Bilanz – konnten Sie Ihre beruflichen und finanziellen Pläne umsetzen? Nach der Krise ist ein guter Zeitpunkt, um über einen Wechsel des Unternehmens nachzudenken.