Mediziner: Gefragt auf dem Arbeitsmarkt
Das Medizinstudium ist nach wie vor äusserst begehrt. Hohe Gehälter und eine breite Palette an Tätigkeiten - auch ausserhalb des klassischen Arztberufs - erwarten die angehenden Ärzte. Die meisten entscheiden sich dennoch für Praxis oder Klinik.
Weder das sinkende Sozialprestige von Ärzten noch ihr anstrengender Berufsalltag schmälern die Attraktivität eines Medizinstudiums. Auf 950 Studienplätze für Humanmedizin in der Schweiz bewerben sich etwa dreimal mehr Maturanten. Wer in Basel, Bern, Zürich oder Freiburg studieren möchte, muss sich daher einem ganztätigen Eignungstest unterziehen, dessen Ergebnis über die Zulassung zum Studium und den Studienort entscheidet. Ohne vorherigen Eignungstest kann man sich nur in Genf, Lausanne und Neuenburg einschreiben.
Nach einer Regelstudienzeit von sechs Jahren, die ein praktisches Wahlstudienjahr als Unterassistent einschliesst, endet das Studium mit dem eidgenössischen Staatsexamen. Etwa neun von zehn Absolventen bilden sich dann in einer sechsjährigen Assistenzzeit zum Facharzt weiter und entscheiden sich anschliessend zwischen klinischer Laufbahn und Praxistätigkeit.
Kritik am Zulassungsstopp für neue Praxen
Von den fast 29.000 berufstätigen Ärzten in der Schweiz arbeitet über die Hälfte in einer Praxis. Um Kosten im Gesundheitswesen und Praxiseröffnungen von Ärzten aus der EU einzudämmen, gilt in der Schweiz seit fünf Jahren ein Zulassungsstopp für Ärzte, die eine neue Praxis eröffnen wollen.
Zeitgemässe Praxisprojekte können dadurch nicht umgesetzt werden, kritisiert Rosmarie Glauser, Politische Sekretärin des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO): "Wird beispielsweise eine internistische Praxis frei, kann sie nicht von einem Trio aus einem Internisten, einer Gynäkologin und einer Allgemeinpraktikerin übernommen werden, selbst wenn alle nur Teilzeit arbeiten."
An Praxen zur Übernahme wird es indes zukünftig nicht mangeln: Rund 5000 Ärzte, die heute zwischen 55 und 65 Jahre alt sind, werden in den kommenden zehn Jahren einen Nachfolger suchen, heisst es bei der Ärzteverbindung FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum).
Der Hausarzt: ein Auslaufmodell?
Vor allem Hausärzten, die sich gerne entlasten würden, stösst der Zulassungsstopp auf. Ihr Beruf hat in den vergangenen Jahren ohnehin an Attraktivität eingebüsst. Das liegt mitunter an der Ausbildung: Während sich Assistenzärzte anderer Fachrichtungen mehr oder weniger strukturiert an Kliniken weiterbilden, gilt der angehende Allgemeinmediziner als "Durchgangsassistent", um den sich niemand richtig kümmert. Die Versuchung ist gross, in ein Spezialgebiet abzuspringen.
Hinzu kommt, dass junge Ärzte oft nicht mehr rund um die Uhr erreichbar sein wollen.
Die Lösung wären kleine, gut vernetzte medizinische Zentren, in denen Mediziner mit verschiedenen Schwerpunkten zusammenarbeiten. Das könnte nicht nur die Belastung des Einzelnen senken, sondern auch den Trend aufhalten, dass sich Patienten statt an den Allgemeinmediziner direkt an den Spezialisten oder die Notfallstation eines Spitals wenden - oder gar an den Heilpraktiker. Rund 850.000 Menschen in der Schweiz suchen jährlich einen homöopathisch behandelnden Therapeuten auf. Homöopathisch bewanderte Mediziner sind begehrt, aber rar. Wer sich in diese Richtung weiterbilden möchte, findet Informationen auf der Internetseite der Interessengemeinschaft erweiterte Hausarztmedizin.
Managen statt operieren
Nicht nur zur Schulmedizin, auch zum klassischen Berufsbild Arzt gibt es Alternativen: in Gesundheitsämtern sowie bei Firmen und Institutionen aus dem Gesundheitssektor sind Mediziner ebenso gefragt wie im Management oder der Qualitätskontrolle von Kliniken.
Immer mehr Spitäler erkennen den Wert eines OP-Managers, der für Effizienz im kostenintensiven OP-Bereich sorgt, die Auslastung von OP-Sälen und die Zusammenarbeit zwischen Anästhesisten und operierenden Ärzten optimiert. Wer sollte diese Tätigkeit besser ausfüllen als ein Arzt, etwa ein ehemaliger Anästhesist mit entsprechender Zusatzausbildung, der die Abläufe im OP im Detail kennt?
Radiologen und Augenärzte: Topverdiener unter den freien Ärzten
Eine breite Palette an Tätigkeiten bietet auch die klinische Forschung in der Pharmaindustrie. Ein Doktortitel ist beim Einstieg in die Industrie förderlich, die Facharztausbildung hingegen verzichtbar.
Zur Attraktivität des Medizinstudiums tragen neben dem breiten Tätigkeitsfeld rosige Gehaltsaussichten bei. Im Jahr 2003 - aktuelle Zahlen veröffentlicht der Verband FMH in Kürze - betrug das mittlere Einkommen (das AHV-pflichtige Berufseinkommen) eines in freier Praxis tätigen Arztes unter 66 Jahren gut 207.000 Franken. Im Jahr zuvor waren es noch 7000 Franken mehr. Tendenziell sinkt das Ärzteeinkommen zwar, aber auf hohem Niveau.
Gehaltsskala nach oben offen
Die Rangliste führen Radiologen mit einem mittleren Einkommen von 395.000 Franken an, gefolgt von Augenärzten (370.000 Franken) und Neurochirurgen (309.000 Franken). Schlusslichter bilden die Psychiater mit rund 118.000 und die Kinderpsychiater mit 109.000 Franken.
Zum Vergleich: ein Hauptabteilungs- oder Bereichsleiter in der Pharmaindustrie verdient jährlich etwa 124.000 Franken. Nach oben scheint die Gehaltsskala für Ärzte in der Pharmaindustrie allerdings offen zu sein: Kürzlich kürte das deutsche Manager-Magazin Daniella Vasella, Chef des Pharmakonzerns Novartis, zum Top-Verdiener in der europäischen Wirtschaft. Der studierte Mediziner Vasella verdiente im vergangenen Jahr etwa 37 Millionen Franken, also etwa so viel wie 200 Allgemeinmediziner zusammen.
(Uta Neubauer, 2007)