Kürzertreten statt Karriere - Downshifting im Job
Karriere, Kohle, Konsum – manche fragen sich, ob das der ganze Lebensinhalt sein kann. Freiwilliges Kürzertreten im Job ist im Kommen. Wer es tut, nimmt Einbussen in Kauf.
Von Vera Sohmer
Arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten, in jeder freien Minute: So sah Birgit Schuberts* Leben aus. Ihr Abteilungsleiter-Job bei einem Fachverlag hatte Priorität. Danach erst kam ihr Ehemann, dann die Freunde – sie vernachlässigte sie mehr und mehr. "Ich habe sogar Verabredungen vergessen", sagt die 52Jährige.
Downshifting - Runterschalten im Beruf
War sie im Büro, konnte sie nicht mehr aufhören zu rackern. Nicht einmal die eigenen Bedürfnisse nahm sie noch wahr. Sie machte keine Pausen, ass nichts – sie war arbeitssüchtig, ohne es zu merken. Bis es weh tat: Ihre Ehe zerbrach. "Und als dann noch meine Schwester mit 48 Jahren an Krebs starb, war mir endgültig klar, dass mein Leben zu kostbar ist, um so weiterzumachen."
Birgit Schubert zog die Notbremse. Sie trat beruflich kürzer – aus der Erkenntnis heraus, dass es mehr geben muss als Karriere, Kohle und Konsum. Downshifting nennen Fachleute diese Bewegung. Und es sind längst nicht mehr nur ein paar Exoten, die sich dazu entschliessen. "Das Runterschalten im Beruf könnte sich als Trend erweisen, zumindest für einen Teil unserer Gesellschaft", sagt Beate Schulze, Soziologin und Psychologin an der Universität Zürich.
Nicht für jeden ist die Karriere alles
Downshifter kehren der Arbeitswelt und der Gesellschaft zwar nicht ganz den Rücken. Aber sie signalisieren, dass sie sich nicht mehr nur daran messen lassen wollen, was sie erreicht haben, wie viel sie verdienen und was sie sich alles leisten können.
Heute geht es Birgit Schubert sehr gut. Sie arbeitet 35 Stunden die Woche, wieder in einem Verlag, als Assistentin des Anzeigenleiters. Budget- und Personalverantwortung hat sie keine mehr. "Die Arbeit frisst mich nicht mehr auf, ich bin ausgeglichener und lebe in einer harmonischen Beziehung." Es sei ihr bewusst, dass sie sich in einer privilegierten Lage befindet: Sie hat früher gutes Geld verdient, die Eigentumswohnung ist abbezahlt – sie konnte sich das Downshiften leisten.
Downshifting hat Konsequenzen
Heute verdient sie rund 4000 Franken brutto. "Und ich habe nicht das Gefühl, auf Wesentliches verzichten zu müssen." Bücher und CDs leiht sie sich öfter in der Bibliothek, auf grössere Anschaffungen spart sie. Früher seien ihr Statussymbole wichtig gewesen: das Segelboot am Mittelmeer, Shoppingtouren – wenn sie ausnahmsweise mal nicht arbeitete. "Ersatzbefriedigung", sagt Birgit Schubert rückblickend.
Das ungetrübte Downshifting-Glück? Nicht ganz. "Man muss sich bewusst sein, welche Konsequenzen es hat", sagt Birgit Schubert. Eine davon: Die Karriere dürfte gelaufen sein, zumindest in der Firma, in der man eine glänzende Laufbahn hingelegt hat. Deshalb kam für sie nicht in Frage, im "alten Verlag" als normale Angestellte weiterzuarbeiten. "Man war andere Leistungen von mir gewohnt." Diesem Druck wollte sie sich nicht aussetzen; sie suchte ein neues Umfeld. Doch beim Vorstellungsgespräch plausibel darzulegen, warum man kleinere Brötchen backen will, sei schwierig. "Jemandem, der weniger arbeiten will, unterstellt man schnell, dass er es auch weniger engagiert tut."
Freiwillig auf die Karriere verzichten ist oft ein Tabu
Noch ist Downshifting ein Tabu. Jene, die sich dafür entschieden haben, sprechen nicht gerne darüber. Ein Grund dafür: Wer kürzer tritt, stellt unsere Leistungs- und Konsumgesellschaft in Frage. "Ständige Aktivität und Erreichbarkeit sind eine soziale Währung – man signalisiert, dass man gefragt ist", sagt Beate Schulze. Und am Arbeitsplatz punkte man noch immer mit hohem, ja exzessivem Engagement.
Wohlstand und Besitz seien zudem vielen Menschen gut und teuer. Wer plötzlich darauf verzichte, werde kritisch beäugt; weniger zu arbeiten, werde mit Faulheit gleichgesetzt. Kürzer treten bedeutet etwas aufgeben, und das geschieht oft nicht freiwillig. Mancher hadert deshalb mit seiner Entscheidung: Auf der einen Seite steht der Wunsch nach mehr Freizeit und Lebensqualität, auf der anderen das alte Weltbild und die Erwartungen des sozialen Umfelds.
*Name geändert
Der Verein "Crazy Workers" wendet sich an Arbeitssüchtige und ihre Angehörigen. Und bietet jenen Rat, die kürzer treten wollen: www.crazyworkers.ch
Die Anonymen Arbeitssüchtigen, ein deutscher Verein, bietet auch Treffen in der Schweiz an: www.arbeitssucht.de
Alles über Burnout – und wie man es vermeidet: www.swissburnout.ch