Krankheit: Minimale Lohnfortzahlung
Bei Krankheit genießen Arbeitnehmende arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz. Der Schutz ist aber lückenhaft und zeitlich beschränkt. Das gilt erst recht für die Lohnfortzahlung.
Erleiden Arbeitnehmende einen Unfall, garantiert die für alle Betriebe obligatorische Unfallversicherung einen umfassenden Schutz. Nicht nur die Behandlungskosten von der gesetzlichen Unfallversicherung übernommen. Die Versicherung gewährt darüber hinaus durch Taggelder und Renten Schutz vor kurz- und langfristigem Lohnausfall. Ganz anders ist die Ausgangslage bei Krankheit. Die Taggeldversicherung für Lohnausfall bei Krankheit ist nicht obligatorisch.
Die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht
Schutzlos sind Arbeitnehmende bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht. Das Gesetz gewährt ihnen in Art. 324a OR während einer beschränkten Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung. Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat bzw. für mehr als drei Monate eingegangen ist. Im ersten Dienstjahr dauert der Lohnanspruch drei Wochen, anschliessend eine angemessene längere Zeit (Art. 324a Abs. 2 OR). Was eine angemessene längere Zeit ist, steht nicht im Gesetz.
Die Praxis orientiert sich an den sogenannten Basler, Zürcher und Berner Skalen. Für längere Arbeitsausfälle bieten die Skalen wenig Schutz. Erst nach 20ig Dienstjahren besteht ein Anspruch auf eine Lohnfortzahlung von sechs Monaten. Das Gesetz erlaubt den Vertragsparteien, von der gerade vorgestellten Regel abzuweichen. Voraussetzung ist, dass Arbeitnehmende dabei insgesamt nicht schlechter dastehen, als das Gesetz vorschreibt. Die Abweichung muss schriftlich oder in einem Gesamtarbeitsvertrag festgehalten werden.
Kollektive Taggeldversicherung: Gut für beide Vertragsparteien
Die häufigste Abweichung erfolgt in der Praxis so, dass der Arbeitgeber mit einer Krankenkasse oder einer Privatversicherung für seine Arbeitnehmenden eine Kollektiv-Krankentaggeldversicherung zur Deckung des Lohnausfallrisikos bei Krankheit abschließt. Die meisten Versicherungen sehen vor, dass ein Krankentaggeld in der Höhe von 80 bis 100 Prozent des entfallenen Verdienstes für eine oder mehrere Erkrankungen während mindestens 720 Tagen innerhalb von 900 Tagen zu leisten ist. Die Prämie für die Versicherung wird in der Regel zwischen den Arbeitnehmenden und dem Arbeitgeber geteilt.
Mit der Dauer von 720 Tagen Dauer ist sichergestellt, dass langzeiterkrankte Arbeitnehmende bis zum Anspruch auf Renten der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge (Pensionskasse) nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Der Arbeitgeber seinerseits ist gegen sein Risiko versichert, bei langjährigen Mitarbeitenden den Lohn während vieler Monate trotz ausbleibender Arbeitsleistung ausrichten zu müssen.
Kündigungsschutz: Erst nach der Probezeit
Krankheit gewährt Arbeitnehmenden auch einen beschränkten Schutz vor Kündigung. Nach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR besteht der Schutz vor Kündigung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit im ersten Dienstjahr 30 Tage, im zweiten bis fünften Dienstjahr 90 Tage und anschliessend 180 Tage. Man nennt diese Zeitspanne eine Sperrfrist.
Drei Punkte gilt es besonders zu beachten:
- Der Schutz beginnt erst nach Ablauf der Probezeit
- Eine Kündigung während einer krankheitsbedingten Arbeitunfähigkeit ist nichtig. Sie muss nach Ablauf der Sperrfrist wiederholt werden.
- Tritt nach erfolgter Kündigung innerhalb der Kündigungsfrist eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auf, ruht die Kündigung bis zum Ablauf der Sperrfrist. Das gilt jedoch nicht, wenn die Kündigung durch den Arbeitnehmer erfolgt.
(Prof. Dr. iur. Kurt Pärli, 2007)
Prof. Dr. iur. Kurt Pärli
ist Dozent und Forscher an der Zürcher Hochschule
Winterthur, Institut für Wirtschaftsrecht,
Zentrum für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
(www.zar.zhwin.ch).