Doppelspitze doppelt so schwierig?
Zwei Chefs - zwei Ansichten. Wenn Mitarbeiter mehrere Vorgesetzte haben, können widersprüchliche Anweisungen zum Stressfaktor im Berufsalltag werden.
Der eine sagt "Hü", der andere "Hott" - ob das nun Junior- und Seniorchef eines Unternehmens sind, der Geschäftsführer und der Projektleiter oder zwei auf dem Papier gleichberechtigte Abteilungsleiter, die sich eine Sekretärin teilen. Zwischen den Stühlen sitzt in jedem Fall der Mitarbeiter. Texter Sven Müller* musste das am eigenen Leib erfahren. Als Angestellter einer norddeutschen Kommunikationsagentur nahm er anfangs noch euphorisch als Teammitglied ein neues Projekt in Angriff, fühlte sich nach wenigen Wochen jedoch ausgebremst: Zahlreiche seiner Ideen, vom Projektleiter bereits abgesegnet, fanden vor dem Geschäftsführer, der ihm hin und wieder über die Schulter sah, keine Gnade.
Ab in den Papierkorb damit, noch mal neue Ideen entwickeln. "Das macht keinen Spass, wenn man das Gefühl hat, doch nur für den Müll zu produzieren. Irgendwann ist die Luft raus", sagt Müller. Widersprüchliche Ansagen seien im Arbeitsleben gang und gäbe, bestätigen Experten. "Ungeklärte Zuständigkeiten sind häufig der Grund", sagt Christian Kunz, Wirtschaftsmediator und Führungskräftetrainer aus Rottweil. Die Folgen sind für Firma und Angestellte beträchtlich: "Die Mitarbeiter leiden unter diesem Zustand, und Betriebe büssen gewaltig an Umsatz ein, wenn die Leitung nicht geklärt ist", hebt Kunz hervor.
Führungsschwäche mit Folgen
Doch was können Mitarbeiter in einer solchen Situation tun? "Wenig, denn sie haben die schlechtesten Karten", sagt Rosemarie Kemmler-Drews, Diplom-Psychologin und Coach aus Burghaun im Landkreis Fulda. Das hat auch Sven Müller festgestellt. Beide Vorgesetzte - der Projektleiter ebenso wie der Geschäftsführer - wischten sein "Aber..." jedes Mal einfach vom Tisch. "Es beiden recht zu machen, war natürlich unmöglich", sagt der gestresste Mitarbeiter.
Grundsätzlich gilt: Die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Vorgesetzten zu bereinigen, ist nicht Aufgabe des Mitarbeiters - in diesem Punkt sind sich die Experten einig. "Das ist vielmehr eine klassische Führungsaufgabe", hebt Rosemarie Kemmler-Drews hervor. Denn für die Mitarbeiter ist es schwer zu durchschauen, welche Motive oder Konflikte hinter den konträren Aussagen ihrer Chefs stecken. "Ein solches Verhalten würde ich als Führungsschwäche bezeichnen", sagt die Psychologin. "Denn Führung bedeutet Transparenz, Aufgaben- und Rollenklarheit." Und das können zwei sich streitende Chefs nicht vermitteln.
Sachlich um Klärung bitten
"In der Folge stockt die Arbeit", erklärt Andreas Schulze, Coach und Trainer für Führungskräfte aus Niederkirchen, in der Nähe von Neustadt an der Weinstrasse. "Denn viele Mitarbeiter verhalten sich aus Unsicherheit defensiv." Sein Rat an Betroffene: "Klären Sie erst einmal, ob ein echtes Dilemma vorliegt." Hebelt eine Anweisung die andere aber komplett aus, ist das der Fall. "Wenn der eine Chef sagt: 'Rufen Sie den Kunden an' und der andere sagt: 'Rufen Sie den Kunden nicht an' - das ist ein echtes Dilemma", erklärt Schulze. Sind Aussagen dagegen nicht völlig konträr, können Mitarbeiter eine praktikable Lösung finden, meint der Experte. "Etwa, indem sie die Anweisungen selbständig gewichten."
Als Mitarbeiter sollte man sich kein Problem zum eigenen machen, das eigentlich nicht das eigene ist, rät die Lingener Trainerin und Beraterin Yvonne Aehlen. "Das Missverständnis besteht ja eigentlich zwischen den beiden Führungskräften." Die Trainerin spricht aus eigener Erfahrung. Aehlen arbeitete selbst schon einmal als Leiterin der Unternehmensentwicklung für zwei gleichberechtigte Chefs, die in ihrem Wesen ganz unterschiedlich waren. Anders lautende Anweisungen parierte sie, indem sie jedes Mal eine Mail an die beiden uneinigen Vorgesetzten schickte, in der sie auf den jeweiligen Widerspruch hinwies und sachlich um Klärung bat. Ihr Tipp: "Man soll Verantwortung für seine Arbeit übernehmen, aber nicht für die Beziehungskämpfe anderer. Das Leben wird dann einfacher."
Ich-Botschaften senden
Doch Vorsicht vor Anklagen wie "durch Ihre Unstimmigkeiten kommt im Vorzimmer schon wieder alles durcheinander". Denn egal, wie aufgeschlossen ein Unternehmen sich gibt, Mitarbeiter sollten ihre Führungskräfte nicht angreifen. Sie müssen loyal sein, erklärt Rosemarie Kemmler-Drews. Die bessere Reaktion: "Senden Sie Ich-Botschaften", erklärt sie. Ein Beispiel: "Um meine Arbeit gut zu machen, brauche ich von Ihnen..."
Ich-Botschaften befürwortet auch Mediator Christian Kunz: "Habe ich Sie richtig verstanden, von 15 bis 18 Uhr soll ich dieses und jenes machen?" Mit Fragen wie diesen könne ein Angestellter Klarheit auf der Arbeitsebene schaffen. Handle es sich um ein grösseres Unternehmen, und gebe es wiederholt kontraproduktive Anweisungen aus zwei Richtungen, könne der betroffene Mitarbeiter auch den Betriebsrat ansprechen und diesen um Rat und Unterstützung bitten.
Vorab Zuständigkeiten klären
Die Chance, dass sich zwei Vorgesetzte erst gar nicht in Widersprüche verstricken, besteht in grossen Unternehmen eher als in kleinen, weiss Rosemarie Kemmler-Drews. "Denn dort werden Führungskräfte geschult und richten ihr Augenmerk deutlicher auf die Strukturen in der Firma." In kleineren Unternehmen mangele es eher mal am notwendigen Hintergrundwissen, was Führung eigentlich bedeute.
Mediator Christian Kunz und sein gleichberechtigter Kollege haben ihre eigene Lösung für das Problem geschaffen: Ihre gemeinsame Sekretärin arbeitet montags, dienstags und mittwochs für Kunz, donnerstags und freitags für dessen Kollegen. Sollte es mal einen Streitfall geben, hat Kunz das letzte Wort. "Mitarbeiter müssen aus solchen Spannungen unbedingt herausgehalten werden", betont er.
Aus Fehlern gelernt
Für Texter Sven Müller ging die Situation nicht so glimpflich aus. Seine Vorgesetzten schafften es nicht, ihn aus ihrem Clinch herauszuhalten. Allerdings sieht er heute auch den ein oder anderen Fehler bei sich. "Ich war neu in der Agentur, wollte es sowohl meinem direkten Teamleiter als auch dem obersten Boss recht machen und auf keinen Fall gleich als Quertreiber dastehen", erklärt er. Deshalb blieb er damals in der Defensive. Und das Projekt? "Mit zeitlichen Verzögerungen haben wir es fertig gestellt", sagt Müller. Inzwischen fühlt er sich in seiner Firma aber heimisch genug, um in Zukunft in ähnlichen Situationen eine klare Ansage aus der Chefetage einzufordern. Ob das aber wirklich klappt, weiss er nicht. "Die beiden sind sich einfach nicht grün - das merkt jeder."
(Andrea Pawlik, 2005)
*Name von der Redaktion geändert