Diversity Management: Vielfalt ist eine Chance
Alte und Junge, Frauen wie Männer, Schwule, Lesben, Personen mit Behinderungen und aus aller Welt – Menschen verschiedenster Couleur arbeiten in einem Unternehmen zusammen und tun das besser. Das ist die Idee von Diversity Management.
"Diversity Management ist ein In-Thema. Selbst die Finanzkrise ist nicht in der Lage gewesen, dieses eher neue Unternehmenskonzept ganz zu verdrängen," sagt Nils Jent. Jent ist Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen. Er redet nicht nur über Vielfalt am Arbeitsplatz, sondern erlebt die Rolle des "Nichtidealtypischen" täglich. Als 18- Jähriger verunfallte Jent und ist seither schwerstbehindert. Heute ist er mittätig am Aufbau des Center for Disability and Integration an der HSG und ein Fachmann für Diversity Management
Unterschiedlichkeit von Menschen nutzen
Diversity Management fördert die Zusammenarbeit von Personen mit Migrationshintergrund, von Menschen beiden Geschlechts, Alters, sexueller Orientierung, unterschiedlicher Religionen sowie physischer und psychischer Fähigkeiten. Der Mitarbeiter wird als Mensch betrachtet mit den verschiedenen Facetten, die ihn ausmachen.
Statt sie auszugrenzen soll die Unterschiedlichkeit integriert und genutzt werden. Durch gegenseitige Wertschätzung und gemeinsames Lernen könnten Kräfte vereint werden, so Jent. Nichtbehinderte und Behinderte profitieren voneinander. Alte und Junge, Frauen und Männer.
Arbeitsmotivation steigt
Die Arbeitsmotivation steige in durchmischten Belegschaften. "Es herrscht eine entspannte Atmosphäre in solchen Teams," sagt Helena Trachsel, Head Diversity Management bei der Swiss Re. Dass es bei grosser Vielfalt auch zu Konflikten komme, sei selbstverständlich. Doch zu lernen, bewusst mit Auseinandersetzungen umzugehen, helfe den Mitarbeitern.
Seinen Ursprung hat Diversity Management in den USA. Dort wird Diversity Management seit Mitte der 80er Jahre praktiziert. Entstanden ist dieses Konzept vor dem Hintergrund einer Antidiskriminierungsgesetzgebung, die manchem Unternehmen millionenschwere Klagen bescherte, weil es Arbeitnehmer ungleich behandelt hatte.
Nicht nur ein Marketinginstrument
In etwa zeitgleich begannen die betroffenen amerikanischen Firmen, sich für den Markt der zunehmend kaufkräftigen ethnischen Einwohner- und Einwanderungsgruppen zu interessieren, die nicht dem Bild vom weissen Amerika entsprachen: den Latinos, Afroamerikanern und Asiaten. Um einen besseren Zugang zu diesen zu erlangen, rekrutierten die Firmen Personal aus jenen Bevölkerungsgruppen, um so das Wissen über die Bedürfnisse ihrer neuen Zielgruppen zu erhalten. Gleichzeitig warben die Unternehmen mit multikulturellem Image.
Von diesem rein verkaufstaktisch motivierten Diversity Management hat sich die Idee weiter entwickelt. Heute steht auch die Verbesserung des Arbeitsklimas im Mittelpunkt. Verschiedene Perspektiven, Kenntnisse und Erfahrungen durch gemischt zusammengesetztes Personal sind eine Voraussetzung für Flexibilität und Kreativität. Denn Teams, die unterschiedlich besetzt sind, sehen Aufgaben aus unterschiedlichen Blickwinkeln und können Aspekte berücksichtigen, die in homogenen Teams eher übersehen werden.
Anderssein als Ressource
Dadurch, dass "Anderssein" als Ressource und nicht als Gefahr gesehen wird, können neue Sichtweisen und neues Potenzial an Bord geholt werden. "Die Entwicklung von Produkten für neue Zielgruppen im In- und Ausland, Geschäfte und Kooperationen mit ausländischen Unternehmen und Märkten in Ländern mit einer völlig anderen Kultur, erfordern neue Herangehensweisen", sagt Trachsel.
Richtlinien stellen ein bewährtes Instrument im Diversity Management dar. Gerade in Konfliktsituationen dienen festgelegte Unternehmensnormen als Handlungsanleitung. Die Werte einer Organisation werden schriftlich festgehalten und Mitarbeiter können sich daran orientieren. Weiter ist Mentoring ein bewährtes Mittel, Diversity Management zu leben. "Ältere, erfahrene Mitarbeiter unterstützen Jüngere ihre Aufgaben zu meistern und begleiten sie – beide profitieren von der Zusammenarbeit", erklärt Trachsel.
Mit Richtlinien, Netzwerken und Mentoring umsetzen
Bei der Swiss Re wurden interne Frauennetzwerke geschaffen. Es finden regelmässig Diskussionen statt, und Workshops werden durchgeführt. Dort lernen die Frauen ihre bisherigen Karrierestrategien zu hinterfragen, arbeiten an ihrer persönlichen Präsentation und erhalten Tipps, wie die "gläserne Decke" durchbrochen werden kann, jene Trennlinie, die manchen Frauen den Aufstieg in die Chefetage verunmöglicht: "Es liegt im unternehmerischen Interesse Frauen zu fördern und für Kaderpositionen zu gewinnen," sagt Trachsel.
Die Diskrepanz zwischen der akademischen Auffassung von Diversity Management und jener der praktischen Umsetzung ist gross. Felduntersuchungen würden zeigen, so Jent, dass Schweizer Firmen zwar mit dem "Managing Diversity" den Umgang mit der Verschiedenartigkeit meinen, in Tat und Wahrheit aber wie ehedem lediglich Gleichstellung praktizieren würden.
Kluft zwischen Theorie und Praxis
Anders als in den USA folgen Unternehmen noch den traditionellen Denkweisen. "Der Paradigmawechsel vom kostspieligen Integrieren, Fördern und Gleichstellen vom Nichtidealtypischem zum mehrwertschaffenden Einbinden der gesellschaftlichen Vielfalt ist zwar auf dem Weg, aber noch längst nicht abgeschlossen", sagt Jent.
(Helen Oertli, 2010)