Bossing - wenn der Chef mobbt
Mobbing passiert unter Kollegen – das ist zwar richtig, aber nur die halbe Wahrheit: Gezielte Schikanen am Arbeitsplatz gehen in jedem zweiten Fall vom Chef aus. Und kosten die Volkswirtschaft Milliarden.
Mobbenden Chefs ist jedes Mittel recht. Und das perfide ist, dass sie aus einem viel grösseren Fundus an Intrigen und Schikanen schöpfen können als drangsalierende Kollegen. Beliebt ist etwa die Methode, Mitarbeiter in einem anderen Raum zu versetzen – weit weg von allen anderen. Jemandem sinnentleerte Aufgaben zuzuweisen, auch das ist weit verbreitet. So erstellt das Opfer dann tagelang Statistiken, die kein Mensch braucht. Andere Angestellte wiederum sehen sich mit unsinnigen Kontrollen konfrontiert. Das geht so weit, dass sie jede einzelne Fotokopie durch den Vorgesetzten bewilligen lassen müssen.
Psychokrieg von oben
Diskriminierung und Demütigungen am Arbeitsplatz – nach den Worten der Buchautoren Helmut Fuchs und Andreas Huber hat dieser von oben erklärte und geführte Psychokrieg nur ein Ziel: weisungsabhängige Mitarbeiter um jeden Preis mit allen Mitteln vernichten. Entweder, um sie unterwürfig zu machen und ihre Anpassung zu erzwingen. Oder aber, sie aus dem Betrieb zu ekeln.
Bossing wird dieses Mobbing von Führungskräften genannt. Warum Vorgesetzte ihre Mitarbeiter fertig machen, dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Wie beim Mobbing können Antipathie, Neid oder Missgunst eine Rolle spielen. Führungsschwäche kann ebenso ausschlaggebend sein wie Machtbesessenheit.
Studie: In jedem zweiten Fall mobbt der Boss
Manchmal wissen Chefs nicht, was sie tun. Experten sprechen dann von "unbewusstem Psychoterror". Charakteristisch für Bossing ist, dass es sich nicht um eine einmalige Unfreundlichkeit oder Ungerechtigkeit handelt. Sondern – wie beim Mobbing – um immer wieder vorkommende Quälereien über einen längeren Zeitraum.
Fuchs und Huber widerlegen damit die Ansicht, Mobbing sei eine Angelegenheit unter Kollegen. In mindestens jedem zweiten Fall sei es der Boss, der mobbe. Dass hinter 51,3 Prozent aller Mobbingfälle am Arbeitsplatz Vorgesetzte stecken, zu diesem Schluss kommt auch eine Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco).
Wirtschaftlicher Schaden
Und falsch sei die Annahme, die Schikanen der Chefs schadeten nur dem Opfer, sagt Betriebsökonom Severin Negri. Er hat für seine Diplomarbeit an der Zürcher Fachhochschule für Wirtschaft und Verwaltung berechnet, was Bossing kostet. Es ist für Unternehmen teuer – der Schaden beträgt schweizweit rund 7,7 Milliarden Franken pro Jahr.
Unter anderem weil Fehlzeiten steigen, Produktionsausfälle und Qualitätseinbussen zu verzeichnen sind, die Fluktuation zunimmt. Mit jährlich an die 20 Milliarden Franken werde darüber hinaus die Schweizer Volkswirtschaft belastet, vor allem die Sozialversicherungen. Negris Fazit: Vorgesetzte sollten sich gut überlegen, was es kostet, jemanden wegzumobben.
Gegenstrategien
Gegenstrategien? Die gibt es. Fuchs und Huber plädieren dafür, das Übel an der Wurzel anzupacken. In ihrem Ratgeberbuch bieten sie beispielsweise Tests und Übungen für Chefs, mit denen diese an sich arbeiten und so das Betriebsklima verbessern können.
Die deutsche Fairness-Stiftung betont, dass eine gute Unternehmens- und Führungskultur das beste Mittel gegen Bossing ist. Dazu gehört es, Konflikte wahrzunehmen und deren Eskalation zu vermeiden. Aber auch der richtige Umgang mit Kritik ist wichtig. Demnach sollten Führungskräfte ihre Mitarbeiter konstruktiv und sachlich kritisieren. Und es nicht als Angriff, verstehen, wenn aus dem Team Verbesserungsvorschläge kommen.
(Vera Sohmer / Bild: Gradt)
Strategien gegen Bossing
Zeigen Sie Konfliktfähigkeit:
Wehren Sie sich von Anfang an, suchen Sie die Aussprache mit den Mobbern. Analysieren Sie die Ursachen eines Konflikts, machen Sie Lösungsvorschläge dafür. Zeigen Sie Bereitschaft, einen Kompromiss einzugehen.
Bauen Sie sozialen und beruflichen Rückhalt auf:
Im Privaten durch Familie und Freunde, aber auch durch Beratungs- und Hilfsangebote von Ärzten, Therapeuten oder Selbsthilfegruppen. Sprechen Sie Kollegen direkt an und suchen Sie sich aktiv Verbündete.
Aktivieren Sie betriebliche und/oder externe Unterstützung:
Nutzen Sie die gewerkschaftliche Rechtsberatung und schalten Sie unbedingt Personal- oder Betriebsrat ein! Prüfen Sie oder lassen Sie sich beraten, ob die Geschäftsleitung informiert werden soll.
(Quelle: Helmut Fuchs, Andreas Huber: "Bossing – Wenn der Chef mobbt", Kreuz Verlag, 2009)
Weiterer Buchtipp
Irmtraud Bräunlich Keller: "Mobbing – Was tun? So wehren Sie sich am Arbeitsplatz", Beobachter-Buchverlag, 2006. Die Diplomarbeit von Severin Negri über die Kosten von Bossing kann man unter dem Link www.brbag.ch/publikationen.html herunterladen.
Infos über Fairness am Arbeitsplatz: www.fairness-stiftung.de