Bewerbung: Erfolg auch ohne Titel
Der richtige Titel ist für einen Führungsjob die halbe Miete – aber eben nur die halbe. Es gibt ein paar Methoden, mit denen Sie auch titellos die ersten Selektionshürden überspringen: Punkten Sie mit dem, wofür es keine Diplome gibt.
Scheitert eine Führungskraft, sind die Ursachen dafür in den seltensten Fällen bei deren Fachwissen zu finden. Neun von zehn zeigten Schwächen oder Unvermögen bei den Soft Skills: in den Disziplinen Teamfähigkeit, Führungsverantwortung, Vorbildfunktion, Konsequenz oder Konfliktfähigkeit.
Werden wir alle zu Titelfetischisten?
Oder bei der Bereitschaft zu kooperieren, Verantwortung zu übernehmen, je nach Situation grossmütig zu reagieren oder mit Klarheit und Härte, wenn erforderlich. So die weit verbreitete Expertenmeinung.
Dennoch: Geht es um die Neubesetzung der Stelle, selektieren viele von ihnen die Bewerbungsdossiers nach Hard Skills, der Fachkompetenz: nach Bachelor, Eidg. dipl., Dr., MAS, MBA, et cetera. Und das zwingt wiederum die Angebotsseite, Titel zu sammeln – werden wir jetzt alle zu Titelfetischisten?
Es kommt auf das Unternehmen an
Kurt Weissen, Consultant aus Basel, spricht von Zierdiplomen – Titel, die als Statussymbol zu mehr persönlichem Ansehen verhelfen sollen. Die Bedeutung von Titeln werde geprägt von den kulturellen Werten einer Gesellschaft. Im angelsächsischen und französischen Raum spielen sie seit langem keine Rolle mehr; in der Deutschschweiz haben sie stark an Bedeutung verloren. Deutschland hingegen und besonders Österreich hinken dieser Entwicklung noch hinterher.
Grosse Unterschiede gebe es aber je nach Unternehmen: Ist in einem die Karriere ohne gewisse Titel kaum möglich, seien diese in anderen ein veritables Hindernis. Wie wichtig Titel sind, hänge aber auch von der Erfahrung oder den Vorurteilen des Vorgesetzten ab.
Doktortitel verliert an Bedeutung
Zwei Beispiele: Die promovierte Chefin will promovierte Mitarbeiter, weil das ihre Abteilung aufwertet, oder weil sie mit "Normalsterblichen" nicht warm wird. Ganz anders der Kollege, auch promoviert. Er will Untergebene ohne Doktortitel, weil diese seine Position weniger in Frage stellen, oder weil er eine klare Distanz zu seinen Leuten wünscht.
Sind Titel wichtig oder nicht? Dazu gebe es keine generell gültige Antwort, bestätigt Marc Schenk, Headhunter aus Zug. Tendenziell werde der Doktortitel in den meisten Branchen heute nicht mehr so hoch gewertet, und bei Hochschulabsolventen werde weniger darauf geachtet, welche zusätzlichen Diplome sie erworben haben.
MBA: Nur ein teures Ticket fürs Vorstellungsgespräch?
Anders beim reinen ETH-Ingenieur, der sich für eine Stelle mit allgemeinen Managementaufgaben bewirbt. "Hier wird eher Wert auf ein Wirtschafts-Nachdiplomstudium oder eine vergleichbare Zusatzausbildung gelegt", sagt Schenk. Mehr Umsicht beim Rekrutieren von Kaderleuten fordert Marc P. Neukomm, Zürcher HR-Consultant im Banken- und Finanzbereich.
Will heissen: "Wir müssen aufhören damit, uns auf bestimmte Diplome zu fixieren." Der MBA beispielsweise werde hochstilisiert. Und das veranlasse manchen Kandidaten zum Erwerb des Titels, obwohl er für den angestrebten Job auch ohne qualifiziert wäre: Eine teuer erworbene Eintrittskarte, die manchmal nur dazu diene, zum Vorstellungsgespräch geladen zu werden.
Tricks, die Selektions-Klippen zu umschiffen
Und wer diese Karte nicht vorweisen kann, fällt durchs Raster? Es sei zwar paradox, doch bei 100 oder mehr Bewerbern auf eine begehrte Stelle müsse halt vorsortiert werden – und da liege es nahe, sich an Kriterien wie Ausbildung, Werdegang und Abschlüsse zu halten, sagt Marc Neukomm. Gerade in der aktuellen Marktsituation ist es offensichtlich, dass Leute mit angesehenen Diplomen wieder bevorzugt eingestellt werden, ergänzt Kurt Weissen.
Doch es gibt ein paar Tricks, die Selektions-Klippe zu umschiffen: Will man sich intern um eine Stelle bewerben und fehlt ein Diplom, solle man sich an die Personalfachleute halten, rät Kurt Weissen. Sie seien eher als der Linienvorgesetzte dafür zu gewinnen, Berufserfahrung gebührend zu gewichten. Stösst man allerdings auf taube Ohren, darf man keine Werbekampagne starten – sie ist aussichtslos, oft gar schädlich.
Handfeste Argumente statt Diplom
Werden in einem Inserat Diplome gefordert, die man nicht vorweisen kann, sollte man die entscheidende Person zuerst anrufen. "Aber nicht lange drumrumschwatzen, sondern sofort auf den Punkt kommen", rät Kurt Weissen. Und handfeste Argumente vortragen: Man muss nachvollziehbar begründen, warum man für den Job auch ohne das verlangte Diplom geeignet ist. Durch das Belegen konkreter Erfolge im Fachbereich beispielsweise oder durch jahrelange Berufserfahrung in ähnlicher Funktion.
Relativ niedrig sind die Chancen, wenn sich viele Bewerber gemeldet haben. "Ist der Rücklauf hingegen dürftig, kann es schon mal vorkommen, dass ein Muss-Kriterium in ein ‚nice to have‘ umwandelt wird", sagt Schenk. Und damit ist man trotz fehlendem Titel wieder im Geschäft.
Lebenslauf nicht nach dem Schweizer Stil
Auch ein Muss: Im kurz gehaltenen Begleitschreiben zum Bewerbungs-Dossier immer angeben, weshalb man sich als eine geeignete Person für die Vakanz sieht. Apropos Dossier: "Verfassen Sie den Lebenslauf nicht nach traditionellem Schweizer Stil, sondern nach dem amerikanischen", rät Kurt Weissen. Also nicht einfach die Arbeitgeber chronologisch auflisten und die Positionen, die man dort innehatte, sondern die übernommenen Aufgaben beschreiben – mit einer klaren Aussage dazu, was man erreicht hat.
Und werfen Sie in die Waagschale, wofür es keine Titel und Diplome gibt: Ihre Soft Skills. Sie sind in Führungsfunktionen fast immer wichtiger als Fachwissen, darin sind sich die meisten Experten einig. Aber viel schwieriger zu fassen als in einer Gegenüberstellungs-Matrix Alter, Berufsjahre, Titel oder Diplome abzuhaken.
Die Chancen der Titellosen
Und genau darin liegt eine weitere Chance des Titellosen. Denn: "Selbstverständlich gibt es Testverfahren, die Aussagen über Verhaltensweisen und Neigungen von Kandidaten zulassen", sagt Kurt Weissen. Aber keine mit hundertprozentiger Treffsicherheit. Hauptübel sei, dass nur der Bewerber getestet wird, nicht aber seine möglichen Vorgesetzten und Teamkollegen. Diese Aspekte müssen die Personalfachleute auf Grund ihrer subjektiven Einschätzung in das Selektionsverfahren einzubringen versuchen.
Ihre wichtigsten Instrumente dazu sind Assessments und strukturierte Interviews. Aber auch für die Vorselektion gibt es Anhaltspunkte: "Oft hole ich Referenzauskünfte bei ehemaligen Vorgesetzen ein", sagt Headhunter Marc Schenk. Aber auch ein interessanter Werdegang ist aussagekräftig und Arbeitszeugnisse – vor allem uncodierte. Passen Bewerbungsschreiben, Referenzauskünfte, Zeugnisse und CV (früher Lebenslauf genannt) zusammen, haben Sie erreicht, was für Kurt Weissen das Zauberwort schlechthin ist auf dem Weg zur gewünschten Stelle: Authentizität.
Zum Thema: Nachgefragt bei Armin Haas, HR-Verantwortlicher von KPMG Schweiz