Berufliche Krisen überwinden
Wer eine berufliche Krise überwindet, stellt oft fest, dass plötzlich ganz neue Ziele erreichbar sind. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, braucht es Biss.
Von Annett Altvater
Kommt die Krise, scheint nichts mehr zu funktionieren. Die Gedanken kreisen nur noch um Probleme. Wer in einer scheinbar ausweglosen Situation festhängt, kann wenig mit der Binsenweisheit anfangen, dass in einer Krise auch Chancen stecken. "Krise" bedeutet tatsächlich nichts anderes als Meinung, Beurteilung oder Entscheidung – der produktive Aspekt steckt schon im griechischen Begriff.
Das Problem ist nur: Berufliche Tiefs zeichnen sich meist dadurch aus, dass die betroffene Person bloss noch Barrieren vor sich sieht, aber keine Auswege. Dazu kommt, dass man sich am Arbeitsplatz unwohl fühlt, schlecht schläft oder gar körperliche Symptome zeigt. In solchen Zeiten ist es wichtig, sich einen Gesprächspartner zu suchen und Abstand von der krankmachenden Situation zu gewinnen. Beispielsweise kann Coaching dabei helfen, aus der Sackgasse herauszufinden. Doch der Weg kann schmerzhaft sein. "Zunächst geht es darum, das Problem zu spiegeln. Das bedingt eine gewisse Offenheit, weil man dabei auch im eigenen Schlamm wühlen muss", sagt Laufbahnberaterin und Coach Andrea Keller. In Kellers Coaching geht es darum, mit kleinen Schritten ein Gefühl von Kompetenz und Handlungsfähigkeit aufzubauen.
Die Persönlichkeit ist entscheidend
Keller, einst Professorin an der Universität Zürich, fand selbst erst durch eine berufliche Krise zu ihrem Beruf als Coach und Laufbahnberaterin. Sie erkannte, dass ihre Persönlichkeit nicht für Führungsaufgaben geschaffen war und zog die Konsequenzen.
Auch bei ihren Klientinnen und Klienten beobachtet sie: "Es ist häufig eine riesige Entlastung, wenn jemand erkennt, dass er bestimmte Erwartungen und Anforderungen zum Beispiel aufgrund seines Persönlichkeitsprofils nicht erfüllen kann." Ein introvertierter Mensch etwa wird nie ein guter Verkäufer, der von sich aus auf die Leute zugeht – in einem Beruf, der weniger aussenzentriert ist, kann die Person aber höchst erfolgreich werden.
Ade ausgetretene Pfade
Berufliche Veränderungen sind nach einer durchstandenen Krise durchaus keine Seltenheit. Die Krise bietet die Chance, Altes loszulassen. Keller: "Wer ganz unten angekommen ist, hat nichts mehr zu verlieren und kann sich daher auf neue Dinge einlassen." So erreichen Betroffene nach einer Neuorientierung eine höhere Lebensqualität und werden zufriedener. Damit geht für Christine Odette Meier ein grosses Mass an Selbstbestimmtheit einher, über das sie als Beraterin mit ihrer Firma "Im Dialog" verfügen kann.
Meier arbeitete als Kader in der Unternehmenskommunikation im Bankensektor – bis zur Finanzkrise. Der Traumjob war plötzlich passé, elementare Lebensfragen tauchten auf. Unterdessen machte sich die Baslerin mit einem Nischenprodukt – einem pferdegestützten Coaching – einen Namen und begleitet heute Berufsleute durch Krisensituationen. Sie stellt fest, dass eine berufliche Krise oft der Auslöser ist, um ausgetretene Pfade verlassen zu können. "Das Bekannte ist bequem, wir fühlen uns sicher", sagt Meier. Ihre Klientinnen und Klienten ermuntert sie jeweils, eine Liste ihrer beruflichen Meilensteine zu erstellen. Daraus wird ersichtlich, wie viel im Arbeitsleben bereits erreicht wurde, und dass ein Stellenverlust zwar schwer wiegt, dabei aber nur einen Mosaikstein im Leben darstellt.
Lockerheit durch die Krise
Wer vom Reagieren langsam wieder ins Handeln kommt, muss sich überlegen, wohin die Reise gehen soll. Denn der Gedanke, von etwas wegzugehen, beinhaltet noch lange nicht das ersehnte Ziel. Erst mit dem Wunsch, auf etwas zuzugehen, werden Motivation und Energien freigelegt. Wie das Ziel aussehen soll, das ist im Coaching bei Meier ein Kernelement, zu dem eine Menge Gedankenspiele und unbequeme Fragen gehören. "Wir blockieren uns oft durch überzogene Erwartungen und Glaubenssätze.
Deswegen ist es massgebend, eigene Ressourcen zu aktivieren und Negativgedanken aufzulösen, die durch Versagensängste entstehen und viel Energie rauben." Meier empfiehlt, negative Menschen wenigstens eine Zeit lang gezielt von sich fernzuhalten. Denn Skeptiker gibt es überall – und sie wirken wie Blei. Doch eine Krise bietet die Chance für einen Aufbruch. Massgebend ist es dabei, die speziellen beruflichen und ausserberuflichen Talente und Kompetenzen zu kennen und von einer starken inneren Motivation getragen zu werden. "Noch vor ein paar Jahren belächelte mein Umfeld mich oft wegen meiner Zukunftspläne", erinnert sich Meier. "Durch den Umstieg gewann ich jedoch an Profil, Selbstvertrauen und Lockerheit."