Alte Zöpfe - einfach abschneiden
Angestellte, die ihr Gärtchen pflegen. Formulare, die kein Mensch mehr braucht: Alte Zöpfe gibt es in jedem Unternehmen. Wie man sie abschneidet – und an welchen man festhalten sollte.
Von Vera Sohmer
Für die einen sind es alte Zöpfe. Andere nennen es "Speck", angesetzt in üppigen Zeiten – nicht als Reserve für düstere Tage, sondern in Form überflüssiger Prozesse, unnötiger Dokumente, sinnlos gewordener Aufgaben. Dinge also, die eine Organisation träge machen und viel Geld kosten.
Das haben wir immer so gemacht
Alte Zöpfe, die man getrost abschneiden könnte. Wenn da nicht an jedem mindestens einer hinge, der sich mit Händen und Füssen dagegen wehrt – mit dem bewährten "Das haben wir immer so gemacht." Und manchmal sogar zu Recht.
Tatsächlich überflüssige Prozesse oder Formulare würden nämlich in vielen Organisationen stillschweigend unterlaufen oder abgeschafft, sagt Martin Mechlinski, Berater für Organisationsentwicklung aus Ennetbürgen NW (siehe Nachgefragt). Derartige "Mängel" finde man oft nur in nicht aktualisierten Arbeitsdokumenten oder Prozessbeschreibungen. Sie zu eliminieren, sehe zwar auf dem Papier gut aus, der Effekt sei aber gleich Null.
Unternehmenskultur auf den Prüfstand
"Wer Wirkung erzielen will, muss tiefer einsteigen – in die Organisationskultur beispielsweise", sagt Martin Mechlinski. In die mehr oder weniger versteckten Spielregeln, die sich im Laufe der Zeit eingenistet haben – inoffizielle Entscheidungsprozesse beispielsweise. Oder die Kultur, dass Mitarbeitende schnell mundtot gemacht werden, wenn sie den Sinn und Nutzen bestehender Abläufe in Frage stellen.
Denn damit wird schon der nächste Zopf geflochten: Mund halten. Machen, was einem gesagt wird. Kein Risiko eingehen, keine Fehler machen. Und genau dagegen kämpfen viele Unternehmen an, sagt Imke Keicher, Zukunftsforscherin aus Rüschlikon ZH. "Sie wollen, dass ihre Mitarbeiter unternehmerisch denken und handeln, mehr Selbstverantwortung leben."
Bereichs-Egoismus überwinden
Weg vom so genannten Silo-Denken, den Bereichs-Egoismus überwinden und lernen, das Gesamtunternehmen zu sehen und die Perspektive des Kunden einzunehmen. "Wenn das gelingt, spielen Hierarchie und organisatorische Details keine so grosse Rolle mehr", sagt Imke Keicher.
Tönt gut! Aber wie bringt man Mitarbeiter dazu, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen, die sie vielleicht gar nicht direkt betreffen? Imke Keicher: "Wichtige Basis ist der Respekt vor dem, was verändert werden soll." Denn es ist nicht aus Bosheit entstanden, oder weil die Betreffenden unfähig waren oder sind.
Mitarbeiter einbinden
Das meiste von dem, was heute nicht mehr funktioniert, stört oder überflüssig ist, hat irgendwann einmal seinen Zweck gehabt, wurde irgendwann einmal aus gutem Grund entwickelt und eingeführt. Dem gebühre Respekt – aber auch entschlossenes Handeln. Das aber funktioniere nur, wenn die betroffenen Mitarbeiter in den Prozess eingebunden werden.
"Die Menschen müssen sich ändern wollen – und das tun sie nur, wenn sie einen Sinn darin erkennen und den Zweck verstehen." Unternehmen, die das akzeptieren, haben grosse Chancen auf langfristigen Erfolg. Wer hingegen Veränderungsmanagement per Ansage und unter Androhung drastischer Sanktionen betreibt, komme nie an das Potenzial seiner Mitarbeiter heran.
Viele Änderungen kommen, wenn es längst zu spät ist
Für Verkaufstrainerin Franziska Brandt-Biesler darf man sich nicht erst in einer Krisensituation mit dem "Speck" beschäftigen. "Das sollten Unternehmen tun, wenn es ihnen gut geht." Doch viele schleppen Leute mit, die deutlich schlechter verkaufen als der Rest des Teams. Das seien dann genau jene, die als erste in Jammerstimmung verfallen, wenn es härter wird an der Verkaufsfront – und damit die Stimmung des ganzen Teams in den Keller ziehen.
"Trennen Sie sich von diesen Mitarbeitern", rät Franziska Brandt-Biesler. Und: Messen, messen, messen. Mit Vertriebskennzahlen wie etwa Kontakthäufigkeit, Abschlussquote oder Rentabilität der Abschlüsse finde man am ehesten heraus, welche Mitarbeiter effektiv arbeiten.
Wider die Geheimnisträger
Bei Mittelständlern werde der Aussendienst häufig zu wenig geführt und jeder arbeite so, wie er es für richtig hält. Messen bedeutet Transparenz, und das gefällt nicht jedem: "Wenn der Vertrieb bisher völlig frei gearbeitet hat, wehrt er sich meist kräftig." Allen voran die Mitarbeiter mit der schlechtesten Leistung – denn diese hänge oft mit Bequemlichkeit zusammen.
Kreativitätstrainer Jiri Scherer aus Zürich hat beobachtet, wie Mitarbeitende zu Geheimnisträgern werden: Sie versuchen bewusst oder unbewusst, sich unersetzbar zu machen, indem sie sich ihr Gärtchen schaffen, es hegen und pflegen.
Es gibt auch erhaltenswerte Zöpfe
Eine denkbar ungünstige Haltung, "denn ein Unternehmen kann nur dann innovativ sein und sich ständig erneuern, wenn die Mitarbeiter ihr Wissen teilen und austauschen." Schwierige Zeiten böten eine gute Gelegenheit, mit solchem Rasterdenken und kleinen Privilegien zu brechen.
Doch es gibt auch erhaltenswerte alte Zöpfe: Jiri Scherer sieht sie in jenen kleinen Eigenheiten, die den Charme eines Traditionsbetriebs oder die Authentizität eines Familienunternehmens ausmachen. "Und da müsste schon ein enormes Einsparpotenzial locken, damit man mit solchen Traditionen bricht."
Nachgefragt bei Martin Mechlinski, Berater für Organisationsentwicklung, Ennetbürgen NW. Über das Abschneiden alter Zöpfe.